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5 Learnings… vom Constructive Journalism Day 2021

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Diskussionsrunde im Rolf-Liebermann-Studio ©NDR/Jann Wilken

Ist Konstruktiver Journalismus die Zukunft? Diese und mehr Fragen standen im Mittelpunkt des vierten Constructive Journalism Day von Hamburg Media School und NDR Info. Die zahlreichen Zuschauer*innen folgten per Live-Stream den Keynotes von Sham Jaff Jaff („What happened last week “) und Ellen Heinrichs (Deutsche Welle) und einer spannenden Diskussionsrunde. Moderiert von Ingo Zamperoni diskutierten die beiden Keynote-Speakerinnen mit Alexandra Borchardt (HMS, Constructive Institute), Adrian Feuerbacher (Chefredakteur NDR Info), Georg Mascolo (Leiter Rechercheverbund von NDR, WDR, SZ) und Jens Schröder (Chefredakteur Geo) Ideen, Ansätze und Schwächen des Konstruktiven Journalismus. In vier Workshops wurde die Diskussion anhand von Beispielen noch vertieft. Hier sind unsere 5 Learnings vom Constructive Journalism Day 2021.


1) Konstruktiver Journalismus zwingt Journalist*innen zur Reflektion ihrer Rolle.

„Journalismus führt die Leute oft dahin, wo es knallt und raucht. Und vermittelt ein Weltbild, das nicht gut ist. Der Konstruktive Journalismus führt die Menschen auch dahin, wo mal etwas klappt, öffnet damit das Thema und zeigt die andere Seite der Welt.“ So erklärte Alexandra Borchardt von der Hamburg Media School die Funktion von Konstruktivem Journalismus. Verängstigte und überforderte Menschen stünden unter Dauerstress und neigten dazu, ihren Nachrichtenkonsum zu reduzieren. Eine Demokratie brauche aber informierte Bürger*innen. „Wenn sich Journalismus seiner gesellschaftlichen Verantwortung nicht bewusst wird, verkommt er zur reinen Content-Produktion“, meint Ellen Heinrichs und fordert, Verantwortung für die Wirkung der eigenen Inhalte zu übernehmen. „Wir Journalist*innen können Krisen verstärken – aber auch Menschen ins Gespräch bringen. Der Blick von konstruktivem Journalismus geht in die Zukunft. Er ist guter Journalismus für unsere Gesellschaft.“ Journalist*innen müssen ihre Rolle genau reflektieren und in ihrer Berichterstattung Lösungen genauso kritisch wie Probleme betrachten, einen möglichst großen Perspektivenreichtum mit einbringen und Debatten mit diverser Beteiligung ermöglichen.

2) Konstruktiver Journalismus führt den Dialog auf Augenhöhe.

„Journalismus berichtet zu oft aus der Perspektive der Funktionsträger – und nicht aus dem Bedürfnis ihrer Leser*innen heraus“, sagt Alexandra Borchardt. Bestimmte Themen oder Gruppen kommen in der Berichterstattung wenig Raum. Das oft geguckt wird, was und wie andere Medienhäuser es machen, um dann ähnlich zu berichten, verstärke diesen Effekt noch. Dies war auch ein wichtiges Learning aus den Workshops am Nachmittag. Wie begegne ich meinen Protagonisten? Findet der Dialog auf Augenhöhe statt und ermöglicht Diversität und Themenvielfalt? Welche Themen interessieren meine Leser*innen? Das sind die Fragen, die man sich für eine konstruktive Berichterstattung stellen sollte. Speakerin Ellen Heinrichs (Deutsche Welle) wandelt das Spiegel-Dogma „Sagen, was ist“ für den Konstruktiven Journalismus um: „Ich plädiere für: Hören, was ist! Denn wer zuhört, hört nicht nur Gut und Böse, vernünftig oder verbohrt.“

3) Konstruktiver Journalismus begeistert das Publikum für Nachrichten.

Sham Jaff hat die Leser*innen ihres Newsletters gefragt, was für sie eine gute Nachrichtenberichterstattung bedeute. „Menschen können oft das große Ganze, das Big Picture nicht sehen und die Frage, die sich Journalist*innen stellen müssen ist, wie kann ich mein Publikum für ein Thema begeistern, das eigentlich gar nicht auf ihrer Agenda steht“, meint Sham Jaff. Herausgekommen ist bei der Umfrage, dass vor allem Nachrichten mit mehr Kontext interessant für die Leser*innen sind. Die Nachrichten sind so verständlicher und es ist einfacher dran zu bleiben, beispielsweise bei lang anhaltenden gesellschaftlichen und politischen Konflikten. Ereignisse, die weit weg stattfinden, werden plötzlich greifbarer und interessanter. Wenn Nachrichten wissensorientiert sind, können sie besser eingeordnet werden. Das Publikum kann so einfach Wissenslücken schließen und auch mit Themen, die weit weg vom eigenen Alltag oder der eigenen Realität sind, etwas anfangen. Auch große Lösungen seinen für ihre Leser*innen wichtig und interessant, so Sham Jaff.

4) Redaktionsübergreifend arbeiten und Konstruktiven Journalismus in den Arbeitsalltag integrieren

Bei der Diskussion über Konstruktiven Journalismus im Redaktionsalltag stellte sich die Frage, ob zum Beispiel eine Konstruktive Klimaberichterstattung nicht schnell in Richtung Haltungsjournalismus gehe. Geo-Chefredakteur Jens Schröder reflektiert über die Neutralität im Journalismus: „Das alte Hans-Joachim-Friedrich-Diktum ‚Mache dich niemals mit einer Sache gemein, auch nicht mit einer guten‘ weicht im Journalismus auf.“ Gute Recherche und verschiedene Positionen sind auch im Konstruktiven Journalismus unabdingbar. Sham Jaff wirft zur Debatte über Neutralität im Journalismus aber ein: „Meine Leser*innen erwarten, dass ich zu bestimmten Themen Stellung beziehe. Da muss ich eine Haltung mitnehmen.“ Haltung ja, aber kein Meinungsjournalismus.

Ex-Spiegel-Chefredakteur Georg Mascolo stellte klar: „Journalismus informiert – und missioniert nicht.“ Konstruktiver Journalismus? Der Leiter des Rechercheverbunds von NDR, WDR und SZ sagt: „In der Beschreibung und Aufdeckung von gesellschaftlichen und politischen Missständen steckt konstruktiver Journalismus schon drin.“

Insgesamt sind auch die Teilnehmenden nach den Workshops motiviert mehr konstruktive Perspektiven in ihre Arbeit zu integrieren. Eine Teilnehmerin möchte vor allem Themen in den Mittelpunkt stellen und dann von den jeweiligen Teammitgliedern auf die Kanäle bringen, für die sie die jeweiligen Expert*innen sind. Auch bei Flip stand redaktionsübergreifendes Arbeiten auf der Tagesordnung. Im Werkstattgespräch sprachen sie von ihrer „Sneakerjagd“, die auch in anderen Medien und Plattformen erfolgreich platziert wurde.

5) Einfach loslegen! Graubereiche sichtbar machen und Komplexität wagen

Ellen Heinrichs appellierte in ihrer Keynote auch, Graubereiche sichtbar zu machen und nicht nur in Schubladen wie gut oder schlecht zu stecken. Es sei wichtig, dem Publikum auch ein wenig Komplexität zuzumuten und nicht in einem handwerklichen Reflex lediglich Klicks nach vorne stellen, meint Jens Schröder. Eine komplexe Geschichte mit vielen Hintergrund-Informationen packte sogar die Leser*innen von RTL.de und animierte sie zu einer langen Verweildauer. Dieses Beispiel zeige, dass durchaus ein Interesse an längeren oder detaillierteren Informationen vorhanden ist, selbst bei Zielgruppen, wo man es eher nicht erwarten würde. Journalismus müsse vielfältiger werden und auch mal neue Zusammenhänge darstellen, findet Alexandra Borchardt. Lösungen zu suchen und kritisch zu hinterfragen, mit Daten zu unterfüttern und mit Statements von Betroffenen, Expert*innen oder führenden Köpfen zu ergänzen – so funktioniert Konstruktiver Journalismus im Redaktionsalltag. Dabei ist es genau so wichtig, dem Publikum genügend Kontext zu liefern und die Relevanz des Themas erkennbar zu machen, wie über das Publikum und seine Bedürfnisse Bescheid zu wissen.