Als Projektleiterin hat Anne Liedtke diverse News- und Magazinrelaunches im Bereich Print/Digital (u.a. ZEIT, faz.net, kurier.at, taz, WAZ Mediengruppe) betreut und verschiedene Content-Formate entwickelt. Zu ihren Arbeitgebern zählen Verlage, wie die Axel Springer AG, die Kircher Burkhardt GmbH (jetzt C3) und die FUNKE Mediengruppe. Für Letztere verantwortete Anne Liedtke die digitale Produktentwicklung und Tranformation der Redaktionen. Seit Januar 2020 leitet sie den Digitalbereich der GCM Go City Media GmbH, die u.a. die Stadtmagazine tipBerlin und ZITTY publizieren. Anne Liedtke ist Diplom-Betriebswirtin und lebt in Berlin.
Sie haben die digitale Transformation bei der FUNKE Mediengruppe geleitet, machen dies jetzt seit Anfang des Jahres bei der – vergleichsweise – kleineren Tip Berlin Media Group. Was sind die Unterschiede zwischen großem und kleinem Verlag? Wo waren die Herausforderungen, aber auch die Möglichkeiten größer?
Erst 6.000 Mitarbeiter jetzt 60 - das war schon ein irrer Sprung. Allein die Anzahl der beteiligten Personen und deren unterschiedlichen Vorstellungen führen in einem so großen Haus natürlich zu einem wahnsinnigen Diskurs. Darüber hinaus ist eine Transformation auch ein sehr emotionales Thema für alle. Rollen und Aufgaben ändern sich, gelernte Hierarchien, dann ist dieses Digitale auch so komplex, neu und muss erst verstanden und verinnerlicht werden. Das ist ein großer Kraftakt für alle, in großen wie in kleinen Unternehmen.
Aber klar in kleineren Unternehmen arbeiten einfach weniger Menschen, es gibt flachere Hierarchien und somit kriegt man einfach so viel mehr Geschwindigkeit in die Prozesse, kann sie schneller ändern und implementieren. Auch hat man mehr die Möglichkeit mit den Mitarbeiter*innen zu arbeiten, gemeinsam Neues zu entwickeln und somit am Ende mehr mitzunehmen, da das Commitment dadurch ein ganz anderes ist. Das ist schon ein enormer Vorteil.
Stadtmagazine, wie auch Tip Berlin, sind als klassisches Print-Produkt gestartet. Was sind die wichtigsten Schritte auf dem Weg in die Digitalisierung?
Im Grunde, muss man ehrlicherweise sagen, hätte die reine Digitalisierung viel eher starten müssen. So haben andere digitale Formate dem klassischen Stadtmagazin im Onlinebereich etwas den Rang abgelaufen und nun muss man in kurzer Zeit ziemlich viel nachholen. Was aber von deutlichem Vorteil ist, sind ausgebildete Journalist*innen, die über eine lange Erfahrung im Kunst- und Bühnenbereich verfügen, damit kommt natürlich eine inhaltliche Qualität ins Spiel, die die anderen nicht immer in dieser Form haben.
Wir haben im ersten Schritt erst einmal technische Grundlagen geschaffen – ein neues CMS, eine Webseite und eine Datenbank aufgebaut. Parallel dazu haben wir viele Workshops mit der Redaktion gemacht, um auch digitales Publishing, vor allem die journalistischen Anforderungen in den unterschiedlichen Kanälen (Web, Social, Newsletter, Print) gemeinsam herauszuarbeiten und natürlich auch dem Thema Datenanalyse mehr Aufmerksamkeit gewährt. Im zweiten Schritt gilt es nun dies mit der bestehenden Print-Produktion zu verzahnen, sodass wir am Ende in einem integriertem Newsroom arbeiten, bei dem es in erster Linie um Themen geht und eigentlich jede*r Redakteur*in in der Lage ist, die verschiedenen Online-Kanäle und Print zu bedienen. Natürlich gibt es für jeden Bereich auch Spezialist*innen, die an den einzelnen Stellen nachjustieren. Aber wir wollen ganz klar keine Trennung von Print und Digital.
Sie sind zur Tip Berlin Media Group nur wenige Monate vor Beginn der Corona-Krise gewechselt. Hatten Sie überhaupt die Möglichkeit ursprüngliche Pläne zu implementieren? Wie hat das Magazin auf die Krise reagiert?
Viele Kolleg*innen sagen mir, dass ich noch gar nicht in den Genuss des Arbeitens bei einem Stadtmagazin gekommen bin – Gästelisten, Freikarten, Einladungen, da ich genau genommen sechs Wochen vor dem Lockdown gestartet bin. Meine erste wichtigste Aufgabe war schon die digitale Transformation und ich muss sagen, dass mir Corona diesbezüglich wahrscheinlich ein Stück weit in die Karten gespielt hat. Wir mussten, wie viele andere auch, über Nacht unsere Workflows komplett auf Remote umstellen und hier viele digitale Tools nutzen und Workflows erarbeiten, für die es sonst wahrscheinlich Wochen benötigt hätte, diese einzuführen. Insofern ist mein Ursprungsplan viel schneller aufgegangen als gedacht.
Natürlich hat uns aber die Krise hart getroffen. Als Stadtmagazin leben wir und unsere Kund*innen ja auch vom Kulturbetrieb. Sie können sich vorstellen, was das für unsere Umsätze bedeutet. So haben wir im ersten Lockdown unsere Hefte tip und zitty zusammengelegt und nur noch im monatlichen statt 14-tägigen Modus herausgebracht. Zu Beginn des Sommers haben wir schweren Herzen die zitty sogar ganz eingestellt, um uns voll und ganz auf die Entwicklung von tipBerlin zu fokussieren. Es war einfach klar, dass wir es nicht schaffen, zwei Marken langfristig zu bespielen. Jetzt im zweiten Lockdown wollen wir weiter im 14 -tägigen Heftmodus bleiben, aber unsere Umfänge sowohl im Magazin als auch Online reduzieren.
Der Verlag ist auf Stadtleben, Kulturberichterstattung und Veranstaltungsdaten spezialisiert. Kultur findet während des Pandemie derzeit so gut wie gar nicht statt. Worüber berichten Sie jetzt?
Uns ist es wichtig, unsere Leser*innen, Abonnent*innen, digitalen Nutzer*innen und natürlich auch Partner*innen durch die Krise zu begleiten. So gibt es viele Geschichten um die Lage der Clubs, Kinos, Theater, Gastronomie und anderen Akteur*innen aus dem Kultur-, Veranstaltungs- und Gastronomiebereich. Darüber hinaus schreiben wir darüber, was jeden gerade beschäftigt. Was mache ich jetzt mit meiner Zeit, wohin kann ich einen Ausflug machen, wo spazieren gehen, was kann man überhaupt noch unternehmen? Auch Mental-Health-Themen stehen an der Tagesordnung, wie beispielsweise: Wie komme ich allein oder mit einem Partner durch die Krise? Wir haben auch einige witzige Formate entwickelt wie unseren Klopapierblog, bei dem es um die aktuellen News rund um die heilige Rolle ging. Unglaublich, aber das ist einer unserer besten Artikel im Frühjahr. Wir versuchen uns einfach in die Menschen da draußen reinzuversetzen und zu verstehen, was sie jetzt beschäftigt und ihnen dann entsprechende journalistische Angebote zu erstellen.
Die Pandemie einmal beiseite: In Zeiten von Veranstaltungs-Apps und Online-Kalendern auf fast jedem Stadtportal wird die Konkurrenz nicht weniger. Mit welchen Ideen und Formaten sichert der Verlag seine Zukunft?
Ich glaube, was wir und die anderen nicht haben, ist eine eigene Datenbank, ein richtiger Schatz mit ausgesuchten Inhalten aus sämtlichen Genres, die von acht Leuten aktualisiert und gepflegt wird. Damit garantieren wir eine gewisse Qualität und auch Quantität, die andere wahrscheinlich so in der Form nicht haben. Uns geht es nicht darum alles zu haben, sondern Orte zu zeigen, die wir selbst besucht und getestet haben. Also, wenn etwas in einer unserer Empfehlungslisten auftaucht, waren wir auch da und davon überzeugt.
Dazu kommt, dass wir auf alle Kanäle setzen – unser Magazin, Editionen, Web und Apps. Hier wollen wir zukünftig noch mehr ausprobieren, was gut funktioniert. So planen wir schon seit Längerem eine Food-App, die unsere Empfehlungen bündelt, Corona-bedingt aber noch in der Schublade liegt bis der Betrieb wieder losgeht. Wir haben aber auch sehr erfolgreiche Editionen wie beispielsweise "Brandenburg" oder die "Speisekarte". Dieses Geschäft wollen wir ebenfalls weiter ausbauen. Die ExPats sind ebenfalls mehr in unseren Fokus geraten, weil sie gerade in Berlin eine sehr interessante und zunehmend wachsende Zielgruppe darstellen. Außerdem wollen wir auch unser Offline-Geschäft ausbauen und hier noch weitere eigene Veranstaltungen neben unseren bestehenden wie Führungen im Barbarrini, Koch-Events mit Sterneköchen und nicht zuletzt unser Foodfestival organisieren. Auf all diese Themen freue ich mich ganz besonders.