Christina Elmer ist Journalistin und stellvertretende Entwicklungschefin beim SPIEGEL. Davor gehörte sie der Chefredaktion von SPIEGEL ONLINE an, wo sie Ressortleiterin Datenjournalismus und Trainerin für Online-Recherche und Computer Assisted Reporting war. Christina Elmer war zudem im Team Investigative Recherche des Magazins "Stern" und bei der Deutschen Presse-Agentur, wo sie auf die Auswertung und Visualisierung von Datensätzen spezialisiert war.
Du bist stellvertretende Entwicklungschefin. Wie muss man sich deine Rolle vorstellen? Als Vermittlerin zwischen Redaktion und Produktentwicklung?
Unser Team, die Entwicklungsredaktion, sorgt für genau diese Verbindung. Als Medienhaus brauchen wir immer auch die Perspektive und oftmals auch Input aus der Redaktion, wenn wir neue Produkte entwickeln – und andersherum entstehen in der Redaktion natürlich auch viele Ideen für die Entwicklung. Mir persönlich ist auch wichtig zu vermitteln, dass erstklassiger Journalismus zwar im Kern unserer Produkte steht, dass es aber mehr braucht, um damit Menschen zu erreichen und als Abonnenten zu gewinnen. Gerade im digitalen Raum, der deutlich komplexer ist als ein Zeitungskiosk, wo laufend neue Plattformen entstehen und neue Konkurrenten, wo wir aber auch ganz neue Möglichkeiten haben, für unsere Leserinnen und Leser relevant zu sein.
Was ist journalistische Produktentwicklung und warum nimmt sie in den Medienhäusern eine immer größere Rolle ein?
Eben wegen dieser Komplexität. Wir müssen unseren Journalismus auch als Produkt begreifen und strategisch immer weiter entwickeln, wenn wir erfolgreich bleiben wollen. Und das bezieht sich nicht primär auf Geschäftsmodelle, sondern auch auf unseren gesellschaftlichen Auftrag. Als Diskursraum und Korrektiv können wir schließlich nur dann wirksam werden, wenn wir ausreichend viele Menschen erreichen. Auf genau diese Beziehung fokussieren wir uns daher auch in der Produktentwicklung und haben uns zum Ziel gesetzt, ein Begleiter für unsere Nutzerinnen und Nutzer zu sein, der ihnen Orientierung bietet und sie auf dem Laufenden hält. Ob das gelingt, entscheiden letztlich unsere Rezipienten – schon deshalb muss die Entwicklung unserer Angebote nutzerzentriert sein.
Aus “Spiegel Online” wurde im Januar dieses Jahres “Der Spiegel”. Als Leser*in auf den ersten Blick vermutlich „nur“ ein Design-Relaunch. Was hat sich tatsächlich alles verändert? Wie lief die Transformation ab?
Für uns war der Relaunch die Chance, einmal grundlegend zu überdenken, wie wir unseren Journalismus im Digitalen präsentieren wollen und was wir dafür brauchen. Wir haben uns letztlich nicht nur ein komplett neues Layout gegeben, sondern auch ein neues Content Management System eingeführt, neue Plattformen für Videos und Bilder, neue publizistische Formate. Im Hintergrund haben wir die komplette technologische Infrastruktur erneuert. Und auf der Seite dafür gesorgt, dass die Tiefe unseres Angebots besser sichtbar werden kann, etwa über Themencluster. Die Transformation war entsprechend herausfordernd und hat etwa zwei Jahre gedauert, am Ende gab es kaum jemanden im Spiegel, der nicht auf irgendeine Art daran beteiligt war. Hier haben wir das alles im Detail beschrieben und im Podcast „Digitale Leute“ auch ausführlich erzählt.
Von KI wird oft in Zukunftsvisionen gesprochen. Welche Rolle spielt sie bereits jetzt bei deiner Arbeit? Beim „Spiegel“?
Das ist ein extrem spannendes Thema! Wir setzen derzeit erst wenige Systeme ein, die mit künstlicher Intelligenz arbeiten – etwa fürs Transkribieren oder das Herausfiltern problematischer Nutzerkommentare. Und natürlich gäbe es noch viele weitere Einsatzmöglichkeiten, vor allem für repetitive oder technische Aufgaben, die wir gerne an künstliche Intelligenz auslagern würden, um unseren Kolleginnen und Kollegen im Newsroom mehr Zeit für kritisches, kreatives Arbeiten zu verschaffen. Aber das ist gar nicht so leicht, weil der Journalismus häufig ganz spezielle Anforderungen hat und die bereits entwickelten Systeme häufig nicht gut genug dazu passen. Auch deshalb beteiligen wir uns an einem Forschungsprojekt der LSE und explorieren dort in einem globalen Netzwerk an Medien, wie wir KI-Werkzeuge sinnvoll einsetzen können.
Und zu guter Letzt ganz neugierig: Welche Produkte und Ideen entwickeln dein Team und du derzeit?
Zum einen entwickeln wir unsere digitalen Angebote laufend weiter – schließlich wollen wir ja nicht noch so einen umfassenden Relaunch machen müssen. Dann geht es bei uns auch immer um Plattformen und neue Formate abseits der Webseite, etwa Podcasts, Voice und Social Media. Und wir arbeiten intensiv daran, unsere Nutzungsdaten auch für die Redaktion besser nutzbar zu machen. Auch da greifen Publizistik und Produkt wieder sehr schön ineinander, wenn wir letztlich besser priorisieren und unsere Ressourcen sinnvoll einsetzen können.