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DJF: Fünf Fragen an ... Claus Hesseling

Claus Hesseling

Claus Hesseling ist Journalist und Trainer aus Hamburg. Er ist Teil des Datenteams vom NDR und setzt dort trimedial daten-gestützte Recherchen um. Claus arbeitet seit 2003 als Medientrainer und hat viele Workshops im internationalen Kontext (von Südafrika über Vietnam bis Fiji) durchgeführt. Der Fokus liegt dabei auf Recherche, Datenjournalismus und Programmieren für Journalist_innen. Er ist außerdem Dozent im Digital Journalism Fellowship.


Wie sieht die Arbeit als Datenjournalist_in aus?

Das Spannende: Jeder Tag ist anders, jedes Projekt bringt meist neue Herausforderungen. Die meiste Zeit nutzen wir für die Kommunikation mit den Kolleginnen und Kollegen aus den Redaktionen - noch wissen nicht alle, wo genau die Stärken von datenjournalistischen Methoden liegen, wie viel Zeit und Arbeit in so ein Projekt fließt. Und immer wieder müssen wir erklären, dass wir nicht "nur" Grafiken machen, sondern vor allem komplexe Recherchen mit Daten-Auswertungen unterstützen können. Die Spanne ist groß: Von einer interaktiven Karte, die sich automatisch selbst aktualisiert, bis hin zur Betreuung von investigativen Daten-Tools wie Aleph gibt es viel zu tun. Und: Wir sprechen oft mit Behörden wie dem RKI und überlegen zusammen, wie wir - und damit unsere Gesellschaft - von möglichst frei verfügbaren Daten profitieren können.

Werden wir konkreter: Wie sieht ein datenjournalistisches Projekt aus, das du bereits umgesetzt hast?


In den letzten Monaten haben wir fast ausschließlich Corona-Zahlen ausgewertet. Deshalb mal ein Beispiel, das nichts mit Corona zu tun hat und das wir mit Kolleg_innen der ARD-Sendung Panorama umgesetzt haben. Fragestellung: Wie viele Wohnungsinserate wären von einem Mietendeckel betroffen? Wir haben dafür von einem Dienstleister möglichst viele Inserate aus Immobilienportalen besorgt und dann für jedes Inserat die Details wie Adresse, Wohnungsgröße, Baujahr, Ausstattung usw. herausgesucht. Dann haben wir einen sogenannten "Scraper" programmiert - quasi ein Software-Roboter, der auf den Mietspiegel-Portalen von Städten diese Daten eingibt und dann den Durchschnitts-Mietspiegelpreis für genau diese Wohnung abspeichert. Dann kann man die Differenz zwischen Mietspiegel-Wert und dem Quadratmeter-Mietpreis des Inserats berechnen. Und da es eine Software macht, war es egal, ob es nur ein paar Dutzend oder mehrere tausend Inserate sind. Außerdem hilft uns Statistik-Software, die Ergebnisse auszuwerten und spannende Dinge zu berechnen. Und für die TV-Kolleg_innen heißt das: Sie können ihren Beitrag zum Beispiel mit den Rekord-Mietwohnungen bebildern.

Wie gelangst du an die Daten, die Grundlage für deine Geschichten sind?


Viele Daten gibt es frei verfügbar im Netz - und viele Statistikerinnen und Statistiker in Behörden freuen sich, wenn man anruft und sich für ihre Daten interessiert. Nicht selten "scrapen" wir die Daten aus dem Netz (wie oben beschrieben). Auf der anderen Seite gibt es auch Daten, die wir selbst durch Umfragen erheben. Und natürlich Datensätze der Investigativ-Kolleg_innen, die über einen USB-Stick zu uns kommen. Manchmal muss man Behörden mit einem sogenannten Antrag auf Informationszugang zwingen, Daten herauszugeben - in Deutschland herrscht da noch oft eine Non-Open-Data-Stimmung vor in den Amtsstuben. Da ist es tragisch, dass manche Bundesländer, wie zum Beispiel Niedersachen, kein Informationsfreiheitsgesetz haben. Aber langsam wird es besser.

Ist der Datenjournalismus eine eigene journalistische Erzählform oder kommen Ansätze auch in anderen Bereichen, wie der Sportberichterstattung oder dem Feuilleton, vor? Wie wichtig wird der Datenjournalismus in Zukunft sein?


In der Corona-Krise waren Daten Grundlage für massive Grundrechtsbeschränkungen durch die Politik - und Datenjournalist_innen fast die Einzigen, die mit solch einer Datenmenge etwas anfangen konnten. Begriffe wie "Nowcast" oder "Imputation", Inzidenz oder R-Wert - mittlerweile kennen das viele. Aber es war die Aufgabe der Datenjournalist_innen, das zu erklären - und auch dem RKI auf die Finger zu klopfen.
Daten gibt es überall - im Sport sowieso, in der Kultur auch, Stichwort Kunstmarkt. Es ist aber keine eigene Erzählform, wir "malen" keine Geschichten an mit bunten Grafiken. Die beste Datengeschichte kommt ganz ohne Visualisierung und Grafik aus - es geht am Ende darum, die Geschichte zu erzählen. Und Daten können helfen, die wichtige Geschichte zu finden und die wichtige Geschichte richtig zu erzählen.

Welche Fähigkeiten muss man für diese Art des Journalismus mitbringen? Wie wichtig ist technisches Know-how?


Als die Pioniere und Pionierinnen des deutschen Datenjournalismus angefangen haben, ging noch viel mit Excel. Heute sind unsere Standard-Tools die Programmiersprachen Python und R plus ähnliche Tools. Das heißt: Ohne zumindest rudimentäre Coding-Kenntnisse wird es schwer, sich mit anderen Datenjournalist_innen auszutauschen und mitzuhalten. Das macht es für Volos, die für 4-6 Wochen in unserer Redaktion Station machen, natürlich schwer. Aber: Auch immer mehr Aus- und Fortbildungsinstitution sehen das und nehmen Coding mit in ihr Curriculum auf. Gerade wenn man ein konkretes Projekt im Auge hat, kann es viel Spaß machen, in diese Welt einzutauchen.