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DJF: Fünf Fragen an... Matthias Wolf

Matthias Wolf

Matthias Wolf (29) hat Sportjournalistik und -management an der Medienakademie Hamburg studiert und 2016 mit dem Bachelor of Arts abgeschlossen. Bei dem transmedialen Dokumentarfilmprojekt „DIE NORM - dabei sein ist alles.“ hat er bereits von 2015 bis 2016 als Redaktionsleiter und Regieassistent mitgewirkt. Das Projekt umfasste unter anderem die innovative Webdokumentation die-norm.de sowie die beiden Kinofilme „DIE NORM - Ist dabei sein wirklich alles?“ und „LUDWIG/WALKENHORST – Der Weg zu Gold“ (Close Distance Productions). Von November 2018 bis Oktober 2020 arbeitete er als Regisseur für das cross- und transmediale Dokumentarfilmprojekt „SXULLS – Row to Tokyo“ (Close Distance Productions), bei dem er gemeinsam mit Guido Weihermüller (Creative Director) Deutschlands beste Ruderer auf ihrem harten Weg zu den Olympischen Spielen in Tokio begleitetet hat. Matthias Wolf kommt gebürtig aus Viersen vom Niederrhein und lebt seit 2012 in Hamburg.

Als verantwortlicher Regisseur waren Sie an dem mehrteiligen Dokumentarfilmprojekt SXULLS beteiligt. Für das ZDF sollten die Athleten auf ihrem Weg zu den Olympischen Spielen in Tokyo 2020 begleitet werden. Dann kam die Corona-Pandemie. Wie haben Sie und Ihr Film-Team auf die Verschiebung der Spiele reagiert? Wie ging es danach weiter?
Alles in allem haben wir diese schwierige Zeit als Team bei Close Distance Productions sehr gut gemeistert. Zu Beginn muss man aber festhalten, dass die Verschiebung der Olympischen Spiele auf das kommende Jahr vor allem für die Ruderer der viel größere Schock war als für uns als Filmteam. Vor allem Athletinnen und Athleten aus Sportarten abseits des Fußballs, die nur alle vier Jahre wirklich im Fokus der Öffentlichkeit stehen, haben in den vergangenen dreieinhalb Jahren alles auf diesen Wettkampf ausgerichtet. Einfach zu sagen „Ok, dann machen wir das Ganze halt ein Jahr länger“ ist für junge Familienväter oder Studenten nicht so einfach. Auch uns als Filmteam hat die Verschiebung hart getroffen. Das gesamte Projekt war inhaltlich und marketingtechnisch auf den Sommer 2020 ausgerichtet, mit Olympia in Tokio als Höhepunkt. Inhaltlich ist es uns verhältnismäßig leichtgefallen, schnell zu reagieren, weil wir als Dokumentarfilmer die Geschehnisse von Natur aus so zeigen, wie sie geschehen. Außerdem haben wir schnell die Chance für eine neue noch nie dagewesene Dramaturgie erkannt. Dadurch, dass auch die Dreharbeiten zu Beginn der Pandemie schwierig waren, haben wir auf ein Format zurückgegriffen, welches schon seit längerer Zeit ein wichtiger Bestandteil unserer Projekte ist: die Videotagebücher. Die Athleten haben sich also selbst in der Quarantäne-Zeit zu Hause gefilmt oder filmen lassen. Das war nicht selbstverständlich und für die Protagonisten alles andere als leicht, weil sie uns in einer wirklich harten Zeit an ihren Ängsten und Gefühlen haben teilhaben lassen. Mitte Mai waren unter Einhaltung der Hygieneregeln auch wieder Dreharbeiten möglich und wir haben die Ruderer bis zur Europameisterschaft Anfang Oktober, dem einzigen Wettkampf in diesem Jahr, begleitet. Parallel haben wir zudem drei Episoden aus unserer Webserie sowie zwei achtminütige Folgen in der ZDF SPORTreportage (inklusive digitaler Verlängerung in der ZDF-Mediathek) veröffentlicht. Als krönender Abschluss für dieses Jahr gab es noch einen 30-Minüter in der ZDF-Mediathek, der ebenfalls Anfang Oktober veröffentlicht wurde.

Sie begleiten die Sportler nicht nur über einen langen Zeitraum, Sie kommen Ihnen dabei auch sehr nah; zeigen Sie im Trainingslager und privat, bei Siegen und Niederlagen. Wie schaffen Sie als Filmemacher diese Nähe? Wie halten Sie aber auch die Distanz?

Ich finde es unheimlich spannend, Menschen über einen längeren Zeitraum zu begleiten und auf dieser Reise immer mehr hinter ihre Fassade zu blicken. Das klingt ein bisschen nach einer psychologischen Langzeit-Therapie, aber das ist es nicht. Viel mehr will ich Fragen stellen, die der Protagonist sonst nicht gestellt bekommt und Dinge herausfinden, die er selbst noch keiner anderen Person erzählt hat oder über die er sich noch gar keine Gedanken gemacht hat. Ich glaube, es ist immer wichtig, den jeweiligen Protagonisten frühzeitig in meine Gedanken und Vorstellungen einzubeziehen, ohne zu viel zu verraten. Sonst bleiben die Überraschungseffekte aus und der Protagonist weiß schon am dritten Drehtag, was ich mit ihm vorhabe und welche Fragen ich stellen will. Gegenseitiges Vertrauen ist das Wichtigste. Ich beobachte zu Beginn eines Projektes immer eine Mischung aus Neugierde und Vorsicht bei den Protagonisten. Ich habe bisher immer Menschen begleitet, die bis dato nicht jeden Tag im Rampenlicht standen, sich aber teilweise mehr Aufmerksamkeit gewünscht hätten. Das erklärt die Neugierde und auch Vorfreude. Die Vorsicht kam daher, weil sie natürlich nicht wussten, was wir anschließend mit dem Material anstellen würden. Aber spätestens nach dem ersten veröffentlichten Trailer oder der ersten Episode war das Vertrauen der Sportler da, weil sie gemerkt haben, dass wir sensibel mit dem Material umgehen und gleichzeitig tolle Filme herstellen, in denen sich der jeweilige Protagonist wiederfindet. Dieses Vertrauen ist anschließend die Grundlage für private Einblicke und auch die Bereitschaft, sich in Niederlagen oder anderen schwierigen Momenten, begleiten zu lassen. Das ist ein Prozess, aber genau deswegen finde ich langzeitige Dokumentarfilmprojekte auch so spannend, denn nicht nur der Protagonist begibt sich auf eine Reise, auch ich als Regisseur tue das. Mein Ziel ist es, die Zuschauer von dem Beginn einer Reise mit an die Hand zu nehmen und mit ihnen Höhen und Tiefen zu teilen.

Worin lieg für Sie die Faszination des Dokumentarfilms?

Der Dokumentarfilm ist für mich die ehrlichste und schönste Art, eine interessante Geschichte zu erzählen und diese einem größeren Publikum vorzutragen. Ich liebe die Mischung aus der Authentizität des Geschehnisses und der filmischen Inszenierung, vor allem die des Materials in der Postproduktion. Ich bin zudem ein großer Fan davon, dass beim Dokumentarfilm jedes Gewerk gefordert wird, sich aber auch selbst mit einbringen kann. Natürlich hatte ich als Regisseur zusammen mit Guido Weihermüller als Creative Director die Hauptverantwortung für das inhaltlich Kreative, die Berge an Material und die verschiedenen Handlungsstränge der Protagonisten, aber auch die Kamera- und Tonleute waren während der Dreharbeiten stark gefordert und haben nicht nur auf Zuruf gearbeitet. Individualität wurde immer großgeschrieben, was natürlich auch die Postproduktion betroffen hat. Unser Cutter Hartmut Rosemann konnte sich im Schnitt richtig austoben, aber manchmal musste er auch das „retten“, was uns bei einem Dreh mal nicht so gut gelungen ist. Das wirklich Inspirierende für mich als Regisseur ist aber, dass ich bei einer Langzeitbeobachtung jeden Tag etwas dazu lerne - über die Protagonisten, die Geschichte als solches und auch mich als Regisseur. Ich arbeite die Dinge nicht einfach ab, sondern kann meiner Kreativität freien Lauf lassen.

Wie hat sich Ihre Arbeit als Regisseur und Autor in den vergangenen Jahren verändert? Welche Rollen spielen Digitalisierung und transmediales Erzählen?

Der Dokumentarfilm steckte vor ein paar Jahren noch richtig in der Krise, weil er seinen festen Sendeplatz im linearen TV verloren und auch keine richtige Plattform im Online-Bereich gefunden hatte. Aber das war gleichzeitig auch die Chance für das transmediale Storytelling. Für mich ist die Webdokumentation eine Riesenbereicherung für das Genre, weil der Dokumentarfilm wieder einer jüngeren Zielgruppe zugänglich gemacht und gleichzeitig auch als Marketinginstrument für das Endprodukt, den Langfilm, fungiert. Ein Beispiel: Wenn unser Projekt SXULLS vor zehn Jahren nur als Langfilm geplant gewesen wäre, hätte kein Mensch je von diesem Projekt erfahren, weil es ohne das große Finale der Geschichte (die Olympischen Spiele 2020) kein Sender oder Verleiher gekauft hätte. Und auch in der aktuellen Situation würde wohl keiner dem Projekt eine weitere Finanzierung bis 2021 zusprechen, ohne vorher etwas gesehen zu haben. Dadurch, dass wir aber bereits im März 2019, also eineinhalb Jahre vor dem Ende der Geschichte, die Webserie online gestellt und fortlaufend Content in Form von Episoden, Clips oder Interviews im Internet veröffentlicht haben, hat sich eine Community an Zuschauern, Webbegleitern und Fans gefunden. Das ist auch für TV-Partner, wie das ZDF, oder Verleiher interessant, weil sie zu einem späteren Zeitpunkt einsteigen können und so ein Projekt bereits eine gewisse Reichweite an Zuschauern und digitalen Zugriffen mit sich bring.

Die öffentlich-rechtlichen Sender verlangen von ihren Autor*innen heute, dass sie Social Media mitdenken. Was bedeuten die sozialen Netzwerke für Sie als Filmemacher und für Ihre Stoffe?

Die Social-Media-Kanäle sind ein sehr wichtiges Instrument und ein nicht wegzudenkender Bestandteil eines transmedialen Projektes. Was den Content betrifft, können hier Formate veröffentlicht werden, die auf das jeweilige Medium zugeschnitten sind. Videotagebücher funktionieren bei Instagram perfekt, weil eine direkte Nähe zwischen Protagonist und User, dem Wegbegleiter der Geschichte, entsteht. Für mich als Filmemacher ist es zudem sehr spannend, direktes Feedback auf unsere veröffentlichten Filme zu bekommen. Ich kann Kritik oder Wünsche aufnehmen und sie zukünftig mit in einen Dreh nehmen, was ich für, im gewisse Maße, echte Bereicherung halte. Wichtig ist nur, dass man die einzelnen Formate und die jeweilige Plattform größtenteils inhaltlich voneinander trennt. Episoden haben ihren festen Platz in der Webserie, Clips und Videotagebücher passen am besten auf Facebook und Instagram und der Langfilm gehört am Ende auf den TV-Bildschirm oder im besten Fall auf die Kinoleinwand.

Foto: Matthias Wolf (links) bei Dreharbeiten mit den Ruderern Stephan Riemekasten und Hans Gruhne (Credit by Henrick Vahlendieck)