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DJF: Kolumne - „America first“ oder „America alone“?

202009 Alexandra Borchardt 2

In Deutschland neigt man dazu, Entwicklungen und Experten aus den USA mit einiger Ehrfurcht zu begegnen – ein gewisser, mancherorts herrschender Anti-Amerikanismus ist lediglich die Kehrseite davon. Das Silicon Valley gilt vielen noch immer als Hort der Innovation, Universitäten wie Harvard, Stanford oder Princeton als erste Adressen für den Nachwuchs der Mittelschicht, und die populären Literat*innen der amerikanischen Ostküste als Vorbilder dafür, wie Literatur zu klingen hat, wenn sie Tiefgang und, man könnte sagen, Nutzerfreundlichkeit vereinigen soll. Seit den Exporterfolgen von Coca Cola, Rockmusik und Facebook dominiert zudem die latente Erwartung, dass das, was „da drüben“ passiert, irgendwann in einer Art Zwangsläufigkeit über den Atlantik schwappen wird.

Das gilt auch für die deutsche Medienbranche. Der Deutschland-affine Jeff Jarvis, Professor an der City University New York (CUNY), wird schon mal zu Führungskräfte-Events deutscher Verlage eingeladen, die sich damit international geben wollen. Und auf dem „Journalism Summit“ bei den Medientagen München an diesem Freitag darf Jay Rosen, Professor der New York University, den Journalismus einst, jetzt und in Zukunft erklären. Das ist gut, weil man den neuesten Auswüchsen der Branchenkrise am besten vorbereitet begegnet. Allerdings sieht diese Krise in den USA dann doch einigermaßen anders aus als diesseits des Ozeans – zum Glück.

Wahr ist, dass die Dominanz der Plattform-Konzerne mit ihren gnadenlos nach kommerziellen Kriterien optimierenden Algorithmen Medienhäuser und Redaktionen weltweit vor sehr ähnliche Herausforderungen stellt. Auf der einen Seite verlieren sie Werbeeinnahmen, auf der anderen müssen sie sich die einst hoheitliche Beziehung zu ihrem Publikum neu erobern, was manchen weniger gut, anderen gar nicht mehr gelingt. Wahr ist aber auch, dass die Medienkrise in den USA deutlich stärkere Schneisen in die Landschaft schlägt als anderswo. Der Begriff „News Deserts“ wurde dort erfunden, und dort gehört er auch hin.

News Deserts, das sind Orte oder ganze Landstriche, in denen es keinerlei lokale Versorgung mit Journalismus mehr gibt, weil die einzige Lokalzeitung dichtgemacht hat. Und – hier der erste entscheidende Unterschied – weil es in den USA keinen dem europäischen Modell vergleichbaren flächendeckenden öffentlich-rechtlichen Rundfunk gibt, der den Auftrag hat, die Bevölkerung in der Fläche mit journalistischen Angeboten zu versorgen.

Wo es keine Lokalzeitung mehr gibt, so ist es vielfältig belegt, findet keine publizistische Kontrolle von Institutionen mehr statt, weniger Menschen gehen oder stellen sich zur Wahl, die öffentlichen Finanzen laufen eher aus dem Ruder als anderswo. In den meisten europäischen Ländern versuchen mindestens wackere Lokalreporter öffentlich-rechtlicher Anstalten, die Bürger*innen auf dem Laufenden zu halten und ihnen eine Stimme zu geben. Dort, wo es diese von Regierungsinteressen einigermaßen unabhängigen Sender gibt, ist die Gefahr deutlich geringer, dass Einwohner*innen ganzer Landstriche allein auf Facebook oder WhatsApp-Gruppen ausweichen müssen, um Informationen aus ihrem Umfeld zu ergattern – mit all den Folgen, die das haben kann.

Eine zweite amerikanische Besonderheit, die es in der Breite eher nicht nach Europa schaffen wird, ist die bedingungslose Unterwerfung der Medienbranche unter die Gesetze des Kapitalismus. Wo zum Beispiel der Hedge Fonds Alden Global Capital wütet, bleibt oft nicht mehr viel übrig von Branchengrößen, deren Redaktionen einst Pulitzer-Preise sammelten. Die Liste der Verlagshäuser ist lang, deren Belegschaften nach Hause geschickt und deren Assets ausgepresst wurden, bis nur noch Hüllen übrigblieben. Der amerikanischen Demokratie hat dies mit Sicherheit nicht genützt. Um wenigstens den Journalismus zu retten, streicht derzeit ein Medium nach dem anderen die Zahl der Wochentage zusammen, an denen noch eine Zeitung aus Papier erscheint. Wie in dieser Woche bekannt wurde, werden zum Beispiel beide Zeitungen in Salt Lake City künftig nur noch einmal statt siebenmal in der Woche erscheinen.

In Deutschland und anderswo in Europa hingegen gibt es kaum Anzeichen für einen ähnlichen Exodus. Immer noch existieren hier reichlich Verleger-Familien, die zwar auch harte Einschnitte verantworten aber gleichzeitig den Ehrgeiz haben, ihre Häuser in eine digitale Zukunft zu führen. Margen, die längst nichts mehr mit den Gewinnen vergangener Jahrzehnte zu tun haben, nehmen sie dabei in Kauf. Das eine oder andere Haus mag sich womöglich irgendwann darauf beschränken, nur noch eine Wochenend-Ausgabe zu drucken, wenn die Leser*innen sich unter der Woche vornehmlich digital versorgen. Aber dieses Irgendwann liegt bei den meisten noch in fernerer Zukunft – und bis dahin wird man das Publikum hoffentlich dazu erzogen haben, in ausreichendem Maße zu App, Website, E-Paper oder Newslettern zu greifen. Die Grabesreden aus den USA dürften den Handlungsdruck erhöhen, aber noch gleichen viele Verlagshäuser eher Patient*innen mit chronischen Wehwehchen statt solchen auf der Intensivstation.

Das ist nicht immer von Vorteil. Denn manchmal braucht man Not, um Helfer*innen zu rekrutieren. Und das klappt in den USA deutlich besser als hierzulande. Stiftungen wie die Lenfest oder die Knight Foundation unterstützen Journalismus mit hunderten Millionen, ähnliches tun Milliardäre wie Craig Newmark, der zum Beispiel die Journalistenschule der CUNY finanziert oder Amazon-Gründer Jeff Bezos, der sich 2013 die Washington Post als Experimentierfeld einverleibt hat und sich nun offenbar auch für CNN interessiert. In Deutschland dagegen lassen solche am Fortbestand der vierten Gewalt interessierten Investoren auf sich warten.

Ironischerweise hat das zur Folge, dass die Förderung von Ausbildung und Innovation im Journalismus hierzulande vor allem zwei amerikanischen Konzernen überlassen wird: Google und Facebook, letzterer Konzern finanziert zum Beispiel auch das Digital Journalism Fellowship der Hamburg Media School. Anders als in den USA, wo es eine Vielfalt von Unterstützer*innen mit gut gefüllten Taschen gibt, ist in diesen Breiten eine Finanzierungs-Monokultur entstanden, über die ungern laut geredet wird. Nicht wenige Verlagshäuser üben sich in dem Spagat, die Plattform-Konzerne auf der Meinungsseite zwar zu geißeln, aber im Geschäftsalltag dennoch zuzugreifen, wenn es um die Unterstützung von Innovationsprojekten geht. Die Journalisten Alexander Fanta und Ingo Dachwitz haben in der vergangenen Woche eine Studie dazu veröffentlicht, wie sehr die deutsche Medienlandschaft mittlerweile von der Google-News-Initiative abhängt. (Transparenz-Hinweis: Die Autorin dieses Textes profitiert selbst maßgeblich von Aufträgen und Institutionen, hinter denen als Geldgeber sowohl Google als auch Facebook stehen.)

Die deutsche Medienbranche ist also eng mit amerikanischen Interessen verwoben, und dies nicht nur, weil der US-Finanzinvestor KKR knapp unter 50 Prozent der Anteile am Medienkonzern Axel Springer hält. Der deutsche Journalismus allerdings muss sich vor dem amerikanischen keinesfalls verstecken. Eine global agierende Medienmarke wie die New York Times
oder ein Innovations-Power-Haus wie die Washington Post gibt es hierzulande nicht. Wohl aber so viele Redaktionen in der Fläche, dass wirkliche News Deserts wohl kaum entstehen werden. In manchen Dingen ist Amerika tatsächlich schneller, größer, stärker als andere. In anderen jedoch einfach nur anders – oder weit hinterher.