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DJF-Kolumne: Jetzt reicht’s mit Lügenpresse - Wann Bürger_innen Medien verteidigen

Alexandra Borchardt farbe

Beim Thema Medienvertrauen wird gerne mit Superlativen gearbeitet, auch in der Branche selbst. „Noch nie war das Vertrauen in den Journalismus so niedrig“, heißt es dann oder „Vertrauen in die Presse sinkt seit Jahren“. Man sollte hinter beide Behauptungen zumindest ein Fragezeichen stellen, denn wie so oft ist die Wirklichkeit komplizierter. Forscher_innen diagnostizieren keinen drastischen Vertrauensschwund in journalistische Produkte. Im Gegenteil: In der Corona-Krise war die Hoffnung auf Aufklärung durch etablierte Medien ausgeprägt wie lange nicht, selbst bei jungen Leuten. Es geht vielmehr um die Frage, wer wem vertraut – oder eben nicht. Neue Studien bestätigen dies.

Da ist zum Beispiel die Langzeitstudie Medienvertrauen der Universität Mainz. Die repräsentative Umfrage wurde bereits sechsmal durchgeführt, die Werte zum allgemeinen Vertrauen in Medien rangierten in den vergangenen vier Jahren einigermaßen konstant zwischen 40 und 44 Prozent. Das ist kein schlechter Wert, denn eine gesunde Skepsis ist auch ein Zeichen von Medienbildung in der Demokratie. Allerdings legte bei der im Dezember 2019 erhobenen Welle der Anteil derjenigen auf 28 Prozent deutlich zu, die deutliches Misstrauen äußerten. Was hingegen so selten vorkam wie noch nie: Dass sich jemand mit „teils, teils“ äußerte. „Offenbar sehen sich immer mehr Menschen angesichts einer sich immer weiter polarisierenden Debattenkultur dazu veranlasst, auch selbst Position zu beziehen“, schlossen die Forscher_innen daraus. Noch deutlicher wird dies bei dem Vorwurf, die Bevölkerung werde „systematisch von den Medien belogen“. Zwar stimmte knapp jeder Fünfte dieser Aussage zu, 58 Prozent wiesen sie aber zurück – und damit so viele wie nie zuvor.

Dieser Trend zur klaren Meinungsbildung deutet darauf hin, dass sich mehr Menschen mit der Rolle der Medien und des Journalismus in der Demokratie auseinandersetzen als früher. Und das ist eine gute Nachricht. Schließlich haben Redaktionen in den vergangenen Jahren offensiv um das Vertrauen der Bürger_innen geworben. Das ist neu. Schließlich gab es Zeiten, in denen Journalisten so etwas nicht für nötig gehalten hatten. Das war damals, als man Leserpost als lästige Nebenwirkung betrachtete und es zur Berufsehre gehörte, sich bei der Recherche nicht in die Karten schauen zu lassen (manchmal auch, weil es da nicht viel zu sehen gab). Heute, wo Medienhäuser mehr und mehr darauf angewiesen sind, ihre Einkünfte aus Abos oder Mitglieder-Beiträgen zu generieren, kann man sich eine solche (Nach-)Lässigkeit nicht mehr leisten. Auf der einen Seite gewinnt man also Verbündete.

Auf der anderen kommen sie allerdings abhanden, denn das Bekenntnis zur Medienmarke wird immer stärker politisch aufgeladen. Dies belegt auch der aktuelle Digital News Report. Das generelle Vertrauen in Medien hat demzufolge über alle 40 Märkte hinweg etwas gelitten, es sank um vier Prozentpunkte auf 38 Prozent verglichen mit 2019. Aber der Blick auf einzelne Länder ergibt ein differenziertes Bild. In Großbritannien mit einer eher rechts der Mitte orientierten Medienlandschaft kollabierte das Vertrauen derjenigen nahezu, die sich als politisch links identifizieren. Die Berichterstattung über Brexit und ein polarisierender Wahlkampf können als Ursachen gewertet werden. In den USA hingegen vertraut das linke Spektrum den etablierten Medien dagegen deutlich stärker, als dies Angehörige des konservativen Lagers tun. Es geht also deutlich mehr um Gesinnung als um so etwas wie objektive Qualitätsdaten.

Daraus folgt allerdings noch lange nicht, dass sich Medien mit eben dieser Gesinnung diesen Rändern anbiedern sollten. In vielen Ländern gibt es nach wie vor eine große Mehrheit derjenigen, die es schätzen, wenn sich Journalismus zumindest um Objektivität bemüht. In Deutschland ist dieses Bedürfnis laut Digital News Report so ausgeprägt wie nirgendwo: 80 Prozent aller Befragten wünschen sich Unparteilichkeit, nur 15 Prozent hätten nach eigenem Bekunden gerne ihre eigene Sicht auf die Welt bestätigt, und nur fünf Prozent möchten sich durch andere politische Standpunkte herausfordern lassen. Kein Wunder, denn hierzulande haben sich schlechte Erfahrungen besonders eingeprägt mit einer Presse, die eher indoktriniert als informiert.

Diese Zahlen sollte man kennen. Denn gerade die jüngere Generation von Journalist_innen führt eine ausgeprägte Debatte darüber, ob Objektivität eigentlich möglich sei. Die Antwort darauf ist schlicht: Natürlich hat Journalismus immer mit Auswahl zu tun, ob Reportage, Kommentar oder Datenanalyse, und diese Auswahl ist persönlich gefärbt. Ein journalistisches Produkt ist deshalb nie so neutral wie die Lösung einer Mathe-Aufgabe. Aber es wäre grundfalsch, das Bemühen um Fakten und Objektivität deshalb gleich einzustellen. Denn ein Ringen um Wahrheit gehört zur Grundausstattung des Handwerks, damit heben sich Journalist_innen von allen anderen Meinungsmachern ab, die es ja reichlich gibt. Wichtig ist allerdings, dass Reporterinnen und Redakteure mit vielen unterschiedlichen Standpunkten um diese Wahrheit ringen. Das große Ganze ergibt dann den Journalismus.

Eine neue, großangelegte quantitative Studie der Kommunikationswissenschaftler Antonis Kalogeropoulos und Benjamin Toff hat ergeben, dass Vertrauen in die Qualität von Medien und der Grad an Pressefreiheit die wichtigsten Variablen dafür sind, ob Menschen Medien überhaupt nutzen oder ob sie sie ignorieren. Der Bildungsgrad spielte dagegen praktisch keine Rolle. Es lohnt sich also, in diese Qualität zu investieren. Denn wenn sich die Bürger_innen vom Journalismus abwenden, entziehen sie ihm die Lebensgrundlage.