Die Digitalisierung hat Journalist*innen verspielt gemacht. Richtete sich die Entscheidung zwischen Text, Ton, Bild oder Film früher danach, wo man dereinst seinen Arbeitsvertrag unterschrieben hatte, haben neue Geräte und Plattformen Redaktionen zu Spielwiesen gemacht, auf denen man schon mal die Orientierung verlieren kann. Soll Journalismus künftig überall so aussehen wie Snowfall? (Nein, soll er nicht.) Und wird diese Podcast-Obsession das Angebot wirklich grundstürzend verändern? Oder ist der Hang zur nackten Tonspur auch nur eine Mode, die spätestens dann vergeht, wenn jeder seine paar Lieblings-Teile gefunden hat? Ähnliches kann man sich beim Constructive Journalism oder Solutions Journalism fragen, über den plötzlich so viele in der Branche reden, wenn sie nicht mehr weiterwissen. Ist das Trend, oder bleibt das da?
Eine mögliche Antwort auf diese Frage wäre: Wenn konstruktiver Journalismus mehr ist als ein Trend, wird sich das darin zeigen, dass er verschwindet. Denn erst dann, wenn journalistische Werke und Produkte grundsätzlich davon beseelt sind, Wege aus Krisen, Auswege aus Sackgassen und Lösungen für Probleme auszuarbeiten, haben sie ihr Qualitätsversprechen eingelöst. Ziel des konstruktiven Journalismus muss es also sein, das gesamte Feld zu durchdringen und sich damit als Genre überflüssig zu machen. Auf dem diesjährigen Constructive Journalism Day von NDR Info und Hamburg Media School ließ sich das aus den Beiträgen der Teilnehmer*innen zumindest so herauslesen.
Die Gründer*innen des Constructive Institute in Aarhus und des ähnlich wirkenden Solutions Journalism Network in New York können das vermutlich abwarten. Derzeit profitieren sie jedenfalls von dem Run auf ihre Ratschläge. Immerhin fragen sich Journalist*innen aus aller Welt, wie man der Atemlosigkeit des Nachrichtengeschäfts mit ihren Eilmeldungen und dem Info-Overkill etwas entgegensetzen kann, das beim Publikum mehr auslöst als schlechte Laune, Ohnmachtsgefühle und Fluchtinstinkte. Und die Flucht findet statt: So gibt jede*r dritte Nutzer*in von digitalen Medien an, Nachrichten zum Teil bewusst und manchmal auch dauerhaft aus dem Weg zu gehen, wie aus dem Digital News Report hervorgeht. Die Tendenz ist steigend, vor allem immer in den Ländern, in denen die politischen Verwerfungen besonders groß sind.
Manche Redaktionen lassen sich von der Tatsache täuschen, dass die Nutzer*innen besonders häufig auf jene Geschichten klicken, in denen es knallt, kracht und raucht. Allerdings ist der Effekt ähnlich dem beim Zuckerkonsum: Der Blutzuckerspiegel steigt schnell, man möchte mehr, aber zufrieden ist man noch lange nicht. Diejenigen Stücke, für die Nutzer*innen bereit sind, ein Abo abzuschließen, sind eher die mit Nährwert. Sie bieten neben Schwarz und Weiß auch andere Farben.
Nun geht es beim Konstruktiven Journalismus, mit großem K, keineswegs darum, künstlich gute Laune – oder noch schlimmer: Langeweile – zu produzieren. Besonders Kolleg*innen vom investigativen Fach fühlen sich vom neuen Hype zuweilen angegriffen. Sie lesen daraus die Kritik, sie würden das Gegenteil von Rosinenpicken betreiben, sich nämlich stets nur aufs Schlechte in der Welt konzentrieren. Wahr ist aber, harte Rechercheur*innen sind wichtig wie eh und je. Jede Problemlösung fängt schließlich mit einem anständigen Problem an. Und Missstände aufzudecken, ist nach wie vor die Job-Beschreibung von Reporter*innen. Aber das Problem darf eben tatsächlich nur am Anfang stehen. Bastian Berber, bekennender konstruktiver Journalist und für seinen Podcast „180 Grad: Geschichten gegen den Hass“ ausgezeichnet, beschreibt das so: Journalismus sei oft gut darin, die Vergangenheit und die Gegenwart abzubilden, nur mit der Zukunft klappe das manchmal nicht so richtig. Konstruktiver Journalismus sei eben der nächste Schritt, er zeige die Perspektive auf.
Nina Fasciaux, Europachefin vom Solutions Journalism Network, sieht investigativen Journalismus und Solutions Journalism deshalb auch nicht als Gegensatz. Beide ergänzten sich. Allerdings gehe der lösungsorientierte Journalismus auch an die Problemdefinition etwas anders heran. Als Beispiel nennt sie eine Redaktion in einer südfranzösischen Kleinstadt, die ihre Kolleg*innen regelmäßig wetten lasse, welches Thema die Menschen gerade am meisten bewege. Fragten sie dann ihr Publikum, komme stets heraus: Die Redakteur*innen lagen mal wieder falsch. Die Lektion: Was die Chefredakteur*innen beeindruckt, lässt die Nutzer*in womöglich kalt. Ernst machen mit „Audience first“ heißt eben automatisch, konstruktiver zu werden.
Eine traurige Wahrheit für den Journalismus ist: Wer sein Weltbild nur aus den Medien bezieht, hält den Menschen eher für schlecht, die Menschheit gar für unverbesserlich. Wer sich dagegen auf eigene Erfahrungen und Daten stützt, bekommt überwiegend ein anderes Bild. Gegen schlechte Laune hilft es zum Beispiel zuweilen, sich die Langzeit-Statistiken von Ourworldindata.org anzuschauen. Aus den Datenwerken des vom deutschen Ökonomen Max Roser in Oxford geleiteten Projekts wird schnell deutlich: Die Welt ist heute weniger gefährlich und weniger ungerecht als noch vor Jahrzehnten, viele große Probleme wurden, wenn nicht ganz gelöst, so doch recht erfolgreich bekämpft. Man könnte auch sagen, die Menschheit an sich ist konstruktiv. Der Journalismus wäre gut beraten, dem zu folgen.
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