Die Welt der Nachrichten ist stark von problemorientierter Berichterstattung geprägt. Krisen, Verwerfungen und Konflikte dominieren den Nachrichtenwert der meisten Redaktionen. Besonders eine junge Leserschaft kann durch diese Überfokussierung auf Probleme emotional überfordert werden, was zu Nachrichtenvermeidung und damit zur Abkehr von traditionellen journalistischen Inhalten führt. Mit dieser Situation sieht sich auch der SPIEGEL konfrontiert. Gemäß dem Leitspruch von Rudolf Augstein „Sagen, was ist“, ist die Berichterstattung des SPIEGEL von einem kompromisslosen Streben nach journalistischer Exzellenz und Wahrheit geprägt. Allerdings stößt diese manchmal vielleicht etwas angriffslustige und problemorientierte Gestaltung bei einer jungen Leserschaft nicht immer auf Gegenliebe. Die Frage, wie eine jüngere Zielgruppe erreicht werden kann, ohne dabei die zentralen Werte des Mediums zu kompromittieren, steht im Raum.
DIGITAL- UND MEDIENMANAGEMENT / PRAXISPROJEKTE
Das SPIEGEL-Projekt zur Einbindung konstruktiver Perspektiven in den Journalismus
Eine mögliche Antwort auf diese Frage ist „Konstruktiver Journalismus“. Dafür hat der SPIEGEL mit dem Ressort Wirtschaft in Zusammenarbeit mit der Hamburg Media School ein Praxisprojekt durchgeführt. Die Herausforderung bestand darin, zu erforschen, wie die Persönlichkeit des SPIEGEL durch Aspekte der konstruktiven und lösungsorientierten Berichterstattung weiterentwickelt werden kann. Der SPIEGEL beschäftigt sich bereits aktiv mit Strategien zur Verjüngung.
Von Anfang Januar bis Mitte März 2024 erarbeiteten wir, das HMS-Team bestehend aus Linda Förster, Stella Fink, Moritz Trautmann, Max Bauer und Alexander Hamlescher, im Projekt „Konstruktiver Journalismus beim SPIEGEL“, eine Vision, wie die Verschränkung von kritischem und konstruktivem Journalismus konkret aussehen könnte. Eine umfangreiche Auswertung des noch jungen Forschungsfelds des konstruktiven Journalismus sowie die Erkenntnisse aus Experteninterviews offenbarten vielversprechende Möglichkeiten zur Erweiterung der Berichterstattung. Die Forschungsergebnisse zeigten zahlreiche positive Effekte sowohl auf die Stimmung und Psyche der Leser als auch eine verstärkte Interaktion, und eine vergleichsweise bessere Wirkung konstruktiv geschriebener Texte. Aus den Ergebnissen entwickelten wir einige Handlungsempfehlungen.
Ein besonderes Highlight stellte der Besuch eines internen Workshops mit dem Wirtschaftsressort dar. Der Einblick in die Abläufe innerhalb der Redaktion ermöglichte es uns, unsere Ideen zu präzisieren und in enger Abstimmung mit dem SPIEGEL Vorschläge zu erarbeiten, wie konstruktiver Journalismus effektiv in die bestehenden redaktionellen Prozesse integriert werden könnte. Unsere Vorschläge stellten wir dann zunächst in einer internen Präsentation den Dozenten und Studierenden der HMS vor und konnten das wertvolle Feedback anschließend einarbeiten.
Endpräsentation: Unserer Empfehlungen für den SPIEGEL
Am 19. März stellten wir, im SPIEGEL-Gebäude Ericusspitze, unsere Ergebnisse SPIEGEL-Mitarbeitenden, sowie Redakteurinnen und Redakteuren des Wirtschaftsressorts vor. Wir begannen mit einer Analyse anderer großer Nachrichtenhäuser, um aufzuzeigen, wie diese konstruktive Berichterstattung bereits erfolgreich nutzen. Ein weiterer Bestandteil unserer Präsentation war eine Sentiment-Analyse von über neuntausend SPIEGEL-Überschriften. Die Analyse zielt darauf ab, die Tonalität der Texte zu bewerten, um zu bestimmen, ob die Kommunikation tendenziell positiv, neutral oder negativ ausfällt. Basierend auf unseren Ergebnissen und einer aus der Literatur abgeleiteten Form des konstruktiven Journalismus entwickelten wir spezifische Empfehlungen. Diese Vorschläge zielen darauf ab, zu identifizieren, an welchen Stellen im redaktionellen Ablauf konstruktiver Journalismus effektiv eingebunden werden kann. Um diese Veränderungen nachhaltig zu integrieren, skizzierten wir eine Erweiterung der SPIEGEL-Persönlichkeit, mit dem Ziel die Marke für ein jüngeres Publikum ansprechender zu gestalten, ohne dabei die journalistischen Grundwerte zu untergraben.
Unsere Ergebnisse lösten eine lebhafte Diskussion aus. Es bestand großes Interesse an unseren Empfehlungen und an deren möglicher Umsetzung. Insgesamt fand die Präsentation beim SPIEGEL sehr positive Resonanz. So sagte Katrin Bartilla, Senior Manager Brand & Communication beim SPIEGEL:
„Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal eine einstündige Präsentation als so gut investierte Zeit empfunden habe. Ihr habt es geschafft, ein komplexes Thema schlüssig aufzubereiten und in sinnvolle Handlungsempfehlungen zu übersetzen. Dank eurer Vorarbeit werden wir den internen Veränderungsprozess nun anstoßen und sichtbare Ergebnisse erzielen können. Wenn das keine guten Nachrichten sind!“
Besonders haben wir uns über ein kostenloses Jahresabonnement für SPIEGEL+ gefreut das wir im Zuge unseres Projektabschluss erhalten haben. Wir bedanken uns herzlich bei unseren Ansprechpersonen Johanna Block, Katrin Bartilla und Johanna Röhr für die angenehme Zusammenarbeit und das uneingeschränkte Vertrauen, das uns während des Projekts entgegengebracht wurde. Wir sind sehr gespannt, wie der SPIEGEL in Zukunft das Thema Konstruktiver Journalismus einbeziehen wird und wünschen alles Gute für die Zukunft.