User*innen im Digitalen möchten gerne aus verschiedenen Quellen informiert oder unterhalten werden und dementsprechend Zugriff auf Inhalte mehrerer Anbieter haben. Das ist nicht neu, im Bereich Musik und Film ist dies bereits Gang und Gäbe.
Aber auch in Bezug auf journalistische Inhalte ist eine anbieterübergreifende Plattformlösung mit Flatrate ganz oben auf der Präferenzliste. Das zeigen unter anderem quantitative Befragungsdaten und Ergebnisse aus Gruppendiskussionen, die Christopher Buschow und ich letztes Jahr veröffentlich haben.
Eine anbieterübergreifende Journalismusplattform der Verlage
Erste Versuche in diese Richtung sind bereits aus der Technologiebranche zu verzeichnen, etwa Apple News+ und Readly. Doch warum gibt es noch keine Initiative der Verlage eine gemeinsame anbieterübergreifende abonnementbasierte Plattform zu entwickeln?
Profitabel auch für Inhalteanbieter
Nicht nur aus Rezipientensicht, auch für die Anbieterseite kann es wirtschaftlich sinnvoll sein, eine kooperative Plattform für Bezahlinhalte anzubieten.
Bedingt ist dies insbesondere durch zwei Aspekte:
- Erstens können durch große Bündel auch recht geringe Zahlungsbereitschaften für einzelne Content-Typen mit abgeschöpft werden. Wenn sich zum Beispiel eine Person eher für Kultur interessiert und nur geringfügig für Sport, dann kann es trotzdem sinnvoll sein, beide Inhalte in einem Bündel anzubieten, um so auch noch die niedrige Zahlungsbereitschaft für Sport mit abzuschöpfen.
- Zweitens gleichen sich die Zahlungsbereitschaften zwischen den Konsumentinnen und Konsumenten bei großen Bündeln tendenziell an, wodurch mit nur einem oder wenigen verschiedenen Preispunkten große Teile der Zahlungsbereitschaft abgeschöpft werden können. Netflix und Spotify etwa folgen diesem Prinzip: wenn viele verschiedene Inhaltstypen (z.B. Romantic Comedies, Dokumentationen usw.) im Bündel enthalten sind, dann gleichen sich die unterschiedlichen Präferenzen für verschiedene Inhalte zwischen den Konsumenten durch die Bündelung tendenziell an. Anders ausgedrückt: wenn alles im Bündel enthalten ist, gibt es praktisch niemanden mehr, der/die alle im Bündel enthaltenen Inhalte super findet, es gibt aber auch niemanden mehr, der/die alle Inhalte komplett ablehnt. Es gibt eine Tendenz zur Mitte. Dieses Prinzip des „Vorhersagewerts des Bundlings“ basiert insofern auf dem Gesetz der großen Zahl.
Diese beiden Prinzipien gelten natürlich grundsätzlich unabhängig von der Distributionsform, also auch für Print, wo sie selbstverständlich auch Anwendung finden: eine Zeitung stellt im Endeffekt ja auch ein Bündelprodukt aus verschiedenen Inhaltstypen dar.
Weil in der Printwelt jeder zusätzlich zur Zeitung hinzugefügte Zeitungsteil Druckkosten für jeden Rezipienten verursacht, der die Zeitung erhält, ist irgendwann der Punkt erreicht, an dem die zusätzlichen Zahlungsbereitschaften für den zusätzlichen Zeitungsteil die zusätzlichen Kosten nicht mehr rechtfertigen können.
Im Digitalen kostet es hingegen nichts, einen bereits existierenden Inhalt dem Bündel hinzuzufügen. Insofern ist es auch aus Anbietersicht sinnvoll möglichst große, ggf. auch anbieterübergreifende, Bündel zu schnüren.
Eine anbieterübergreifende abonnementbasierte Plattformlösung kann also auch aus Anbietersicht profitabel sein, speziell für Regionalverlage, die meist regionale Monopole darstellen und damit kaum in direkter Konkurrenz zueinander stehen.
Ein Beispiel zur Illustration:
Stellen Sie sich vor, alle Regionalverlage würden Ihre Inhalte in einem Bündel zusammenfassen, d.h. eine Abonnentin des Kölner Stadtanzeigers hätte auch Zugriff auf die Inhalte der Rheinischen Post und des Hamburger Abendblatts. Dies würde ziemlich sicher eine höhere Nachfrage bzw. Zahlungsbereitschaft als bisher zur Folge haben. Zum Beispiel würden Menschen, die zwischen Düsseldorf und Köln pendeln und bisher nicht bereit waren zwei Abonnements abzuschließen, wahrscheinlich zumindest bereit sein ein paar Euro mehr auszugeben. Auch regionale Geschehnisse mit überregionaler Bedeutung wie z.B. der Bau der Elbphilharmonie könnten für Menschen aus anderen Regionen interessant sein. Die werden aber kaum ein Abonnement des Hamburger Abendblatts abschließen, wären aber vielleicht bereit ein bisschen mehr für das anbieterübergreifende Bündel zu bezahlen.
Oder vielleicht stammen Sie aus Dresden, leben mittlerweile in München und fahren gerne in den Urlaub nach Usedom. Da würden Sie sich vielleicht auch freuen und bereit sein ein bisschen mehr Geld auszugeben, wenn Sie bei der Sächsischen Zeitung oder der Ostseezeitung nicht an die Paywall stoßen würden.
All diese Inhalte werden ohnehin produziert und es würde – im Gegensatz zu Printprodukten – praktisch nichts kosten diese einem Bündel hinzuzufügen. Ihr gesamtes wirtschaftliches Potential wird also außerhalb eines anbieterübergreifenden Bündels nicht gehoben.
Was spricht dagegen?
Dabei kann eine anbieterübergreifende Plattformlösung zu den Konditionen einer Flatrate so ausgestaltet sein wie wir es von Spotify oder Netflix kennen, muss sie aber natürlich nicht.
Aus der Verlagsbranche hört man oft, dass durch eine anbieterübergreifende Plattform die Inhalte aus den Markenumfeldern der jeweiligen Anbieter gerissen würde, Eingriffe in die Content Managementsysteme notwendig seien und nicht zuletzt die direkte Kundenbeziehung aufgegeben werden müsste. Speziell letzteres sei eine rote Linie.
Dabei gibt es auch für diese Aspekte gut handhabbare technologische Lösungen. Beispielsweise indem sich Konsumentinnen und Konsumenten einmalig einloggen und dann durch die Paywalls verschiedener Anbieter durchgeleitet werden. Es handelte sich dabei also nicht um einen One-Stop-Shop, sondern vielmehr um eine Single-Sign-On-Lösung: Der Zugriff auf die Inhalte durch die Nutzer*innen bliebe also dezentral, die CMS müssten praktisch nicht angefasst werden.
Auch wird häufig angeführt, dass journalistische Inhalte im Gegensatz zu bspw. Musik typischerweise nicht wiederholt genutzt werden und zudem über die Zeit schnell an Wert verlieren. Das stimmt natürlich, stellt aber kein Argument gegen eine Plattformlösung dar, sondern erklärt vielmehr, weshalb es generell schwierig ist journalistische Inhalte zu monetarisieren.
Übrig bliebt im Wesentlichen der Aspekt, dass die Endkundenpreise nicht mehr anbieterindividuelll festgelegt werden können und somit ein Preiswettbewerb zwischen den Anbietern verhindert wird. Dies kann man sowohl als Verlust der Preishoheit verstehen, als auch als Anreiz zum Qualitätswettbewerb.
Zu guter Letzt stellt sich die Frage, wie ein vernünftiger Verteilmechanismus für die steigenden Einnahmen aussehen könnte. Wie wäre es zum Beispiel mit einem Mix aus folgenden Ansätzen?
- Konsumentinnen und Konsumenten können über einen bestimmten Teil der Flatrate selbst entscheiden, welchen Anbietern dieser Teil ihrer Zahlung zukommen soll.
- Ein Teil der Einnahmen wird nach dem Wohnsitz der nutzenden Person verteilt, um der Relevanz des Lokaljournalismus für die Funktionsfähigkeit der Demokratie vor Ort Rechnung zu tragen.
- Ein Teil wird nach Nutzungsdauer und -intensität verteil.
(Das würde unter Umständen sogar einen stärkeren wirtschaftlichen Anreiz für investigative Recherche darstellen, da dann diejenigen, die den finanziellen Aufwand betrieben haben, mit höherer Wahrscheinlichkeit auch den Traffic abbekommen und nicht andere, zitierende bzw. kopierende, Anbieter. Denn wer durch die Flatrate bereits Zugang zur Primärquelle hat, steuert diese vermutlich eher an, als wenn diese Inhalte hinter einer Paywall lägen).
Sind es also vielleicht doch im Kern andere Gründe, die eine Kooperation der Verlage verhindern? Etwa die Angst zahlungskräftige Print-Abos durch ein anbieterübergreifendes digitales Angebot zu verlieren? Oder sind es schlicht unternehmens- und branchenkulturelle Gründe, die eine Kooperation zum Nutzen aller Beteiligten verhindern? Es könnte sich um ein klassisches Gefangenendilemma handeln: der/die Einzelne versucht für sich das Optimum herauszuholen und am Ende verlieren alle, weil sie nicht bereit sind zu kooperieren.