Ellen Heinrichs ist Head of Digital Programming bei der Deutschen Welle und am digitalen Wandel des Auslandssenders beteiligt. Sie nimmt als erste Deutsche am Fellowship-Programm des Constructive Institute in Aarhus/Dänemark teil und führt im Auftrag des Grimme Instituts eine Impact Study über konstruktiven Journalismus durch. Da ihr besonderes Interesse neben Innovations- und Wissensmanagement auch dem konstruktiven Journalismus gilt, freuen wir uns, sie als Expertin für unseren Constructive Journalism Day am 10. November gewonnen haben.
Gefühlt sind die Medien voll von schlechten Nachrichten. Klar ist es wichtig Missstände aufzuzeigen, aber oft werden dabei vor allem Negativbeispiele verwendet, der Umweltsünder ist eher Thema als ein besonders nachhaltig arbeitendes Unternehmen. Deckt sich dieser Eindruck mit ihren Erfahrungen im redaktionellen Umfeld? Und falls ja, warum ist das so?
Journalist*innen sind auch nur Menschen. Und Menschen sind Gewohnheitstiere. Jahrzehntelang wurde in den Journalistenschulen gelehrt: "If it bleeds, it leads". Mit anderen Worten: "Nur eine schlechte Nachricht ist eine gute Nachricht." Es braucht Zeit und viel Überzeugungskraft, mit alten Gewohnheiten und eingeschliffenen Relevanzkriterien, etwa der Fokussierung auf negative Ereignisse, aufzuräumen. Das erlebe ich bei uns im Sender so, aber auch in allen anderen Redaktionen, mit denen ich bislang im Kontakt war.
Wo liegt das Potential für konstruktiven, lösungsorientierten Journalismus? Und wo liegt der Unterschied zum „herkömmlichen“ Journalismus?
Das ist eine interessante Frage. Tatsächlich ist konstruktiver Journalismus nicht weit vom sogenannten „herkömmlichen Journalismus“ entfernt. Auch konstruktiver Journalismus ist kritisch, berichtet über Missstände und Probleme und benennt Verantwortliche. Aber: Konstruktiver Journalismus lässt die Menschen damit nicht allein. Er fragt: Und jetzt? Er sucht nach Lösungen, verzichtet auf Polarisierung und versucht, demokratische Debatten anzuregen. Insofern ist konstruktiver Journalismus für mich genau die Art von Journalismus, für die ich – und viele andere Journalist*innen auch - ursprünglich einmal angetreten bin. Es geht hier also nicht, wie von Kritikern manchmal geäußert wird, um positiven, irgendwie weichgespülten Wellness-Journalismus, sondern um eine Berichterstattung, die den Bedürfnissen der Menschen und dem eigenen Anspruch der Journalisten – nämlich Wächter*innen der Demokratie zu sein – tatsächlich Rechnung trägt.
Wie schätzen Sie die Entwicklung des konstruktiven Journalismus ein?
Ich spreche derzeit im Rahmen einer Studie, mit der mich das Grimme Institut beauftragt hat, mit sehr vielen Redaktionen in Deutschland über konstruktiven Journalismus. Und ich muss sagen, ich bin positiv überrascht von dem großen Interesse, das mir sowohl von privaten als auch von öffentlich-rechtlichen Unternehmen entgegenschlägt. Man kann sicher sagen, dass in Deutschland der NDR eine Vorreiterrolle innehat, wenn es um konstruktiven Journalismus geht. Aber auch in vielen anderen Redaktionen ist in den vergangenen Monaten die Erkenntnis gereift, dass sich die journalistische Arbeit sehr viel stärker an den tatsächlichen Bedürfnissen der Menschen orientieren muss. Wo immer Nutzer, vor allem jüngere Nutzer*innen, befragt werden, kommt heraus: Viele wünschen sich eine weniger starke Fokussierung auf negative Ereignisse und mehr Lösungsorientierung in den Medien. Wir Journalist*innen tun gut daran, auf diese Bedürfnisse zu reagieren, sonst werden wir die Menschen verlieren. In vielen Redaktionen kommt das allmählich an, es setzt ein merkliches Umdenken ein.
Was erwarten Sie vom Constructive Journalism Day am 10. November?
Persönlich freue ich mich ganz besonders auf die Paneldiskussion mit den großartigen Kolleg*innnen Adrian Feuerbacher, Alexandra Borchardt, Nina Fasciaux und Bastian Berbner. Darüber hinaus finde ich klasse, dass der NDR den Constructive Journalism Day in diesem Jahr mit einem Idea Sprint aufwertet. So werden hoffentlich viele kreative Ansätze entstehen und die Teilnehmer*innen können nicht nur neues Wissen, sondern möglicherweise gleich ganz konkrete Vorhaben aus diesem Tag mitnehmen.