Dr. Christian Sauer, 57, ist Journalist, Redaktionscoach und Seminartrainer in Hamburg. Er begann als Volontär beim „Tagesspiegel“ und war von 2000 bis 2006 Stellvertretender Chefredakteur des Magazins „chrismon“. Seit mehr als 15 Jahren berät er Medienprofis, coacht Redaktionsleitungen und bildet redaktionelle Führungskräfte aus. Neben zahlreichen Fachbeiträgen zur redaktionellen Führung erschienen von ihm zuletzt die Ratgeber „Der Stellvertreter“ (Hanser 2016) und „Draußen gehen“ (Verlag Hermann Schmid 2019).
Lateral Leadership gilt als neue Form des Führens. Was ist damit gemeint und warum gilt es als innovativ?
So ganz neu ist das laterale Führen, also das Führen von der Seite, eigentlich nicht. Jed*e, die*der schon mal versucht hat, eine studentische Arbeitsgruppe zu koordinieren, hat lateral geführt – eben ohne jegliche Machtmittel. In der Wirtschaft, speziell in den Medien, ist es aber so, dass laterale Führung jetzt neben die klassische hierarchische Führung tritt – mindestens gleichberechtigt, würde ich sagen. Das ist auch sehr sinnvoll, weil agiles Arbeiten schwierig wird, wenn sich dauernd eine Führungskraft einmischt, die meint, alles besser zu wissen, und die dann zum Beispiel mitten in einem Sprint über die Köpfe der ExpertInnen hinweg entscheidet.
Wie arbeitet die ideale laterale Führungskraft?
Zunächst einmal: Sie weist nicht an und verschickt keine Abmahnungen. Das lässt sie nicht nur bleiben, weil sie es nicht kann, sondern aus Überzeugung. Im Gegenteil: Sie ermöglicht einen hohen Grad an Beteiligung bei wichtigen Entscheidungen. Sie moderiert und koordiniert den Teamprozess, schafft Räume für gemeinsame Lösungssuche, bringt Informationen ins Fließen, gibt detailliertes und vor allem wertschätzendes Feedback. Bei einer wirklich idealen lateralen Führungskraft kommt sogar noch so etwas wie eine persönliche Ausstrahlung, ein Charisma hinzu – weil es ihr Freude macht, die Energien aller zu bündeln und weil sie in gewisser Weise gern dem Team dient.
Welche Wirkung hat dieser Führungsstil auf Team und Arbeit?
Laterale Führung kann ein Kardinalproblem von hierarchischer Führung lösen. Das liegt darin, dass gerade die leistungswilligen und kreativen Mitarbeiter*innen demotiviert werden, wenn sie nicht genügend Freiheit bei der Ausgestaltung ihres Jobs haben und etwa Projekte umsetzen müssen, von deren Sinn sie in keiner Weise überzeugt sind. Laterale Führungskräfte sehen ihre Hauptaufgabe darin, den Mitarbeiter*innen Freiräume für hochmotiviertes Arbeiten zu verschaffen. Dass sie trotzdem nicht jede und jeden machen lassen können, was sie gerade wollen, steht auf einem anderen Blatt: Auch laterale Führung, muss im Dialog mit dem Team einen Rahmen vereinbaren und Grenzen ziehen. Aber eben im Gespräch und mit guten Argumenten statt par ordre du mufti.
Was sagen deine bisherigen Erfahrungen als Coach für Lateral Leadership? Wie gut wird die Methode angenommen? Welche Herausforderungen gilt es besonders zu Beginn zu bewältigen?
Ich coache gerade im Rahmen eures Digital Leadership-Programmes eine Medienführungskraft aus Osteuropa und bin begeistert, wie intensiv diese Person Anfang 30 mit mir an ihrer Rolle arbeitet. Die Führungskraft spürt genau, dass sie die laterale Grundlinie braucht, weil sie ihr Team sonst nicht motivieren und weiterentwickeln kann. Andererseits steht sie unter einem starken Erlösdruck und muss auch harte hierarchische Entscheidungen treffen. Als starke Persönlichkeit bekommt sie das unter einen Hut, aber man muss sagen, dass Führen mit einem lateralen Basisansatz nicht einfacher wird als hierarchische Führung, sondern zunächst einmal schwieriger. Umgekehrt stimmt aber auch: Wenn man gelernt hat, lateral zu führen, dann stellt hierarchisches Führen keine neue Herausforderung mehr dar. Lateral ist das Trainingscamp für hierarchisch. Dieses Motiv begegnet mit seit Jahren in zig Führungscoachings immer wieder.
Du bist auch Journalist und in der Branche tätig. Gibt es im Journalismus bereits viele laterale Führungskräfte? Wie könnten gerade Redaktionen/Medienhäuser davon profitieren?
Medienhäuser und Redaktionen müssen meiner Ansicht nach auf laterale Führung setzen, um die überlebenswichtigen Entwicklungs- und Veränderungsprozesse zu steuern, die derzeit überall laufen. Ohne eine grundlegende Agilisierung auch und gerade der Führungskultur wird vieles davon scheitern, fürchte ich. Für die sogenannten Regelprozesse, also die Produktionsroutinen in den Medienhäusern, kann und muss Führung ein bisschen anders aussehen: Unter dem enormen Zeitdruck, der überall herrscht, muss es harte hierarchische Entscheidungen geben, das erfordert das Geschäft. Das zwingt gerade Redaktionsleitungen dauernd in einen Spagat zwischen lateraler Führung bei Projekten und Innovationen und hierarchischer Führung im Newsdesk-Alltag. Dieser Spagat stresst die Führenden wie die Mitarbeiter*innen, aber im Moment, scheint mir, führt an einer solchen Kraftanstrengung nichts vorbei.
Foto: N. Mallonek.