Sascha Pforten ist Journalist. Stellvertretender Chefredakteur von Sat.1-Norddeutschland, einer einhundertprozentigen Tochter von ProSiebenSat.1. Als Redaktionsleiter in Hamburg ist er verantwortlich für die wochentägliche Sendung „17:30 Sat.1 Regional für HH & SH“. Studium Geschichte und Politik an der Universität Hamburg, MA. Volontariat bei Sat.1 National. Fellowship Rias-Berlin-Kommission, Aufenthalt in den USA. Freier Mitarbeiter NDR Fernsehen als Autor und Reporter. CVD am News-Desk Sat.1 in Berlin. Redaktionsleitung Sat.1 in Hamburg. Sascha Pforten ist neben seiner Beiratstätigkeit für das Digital Journalism Fellowship auch in dessen Arbeitskreis aktiv.
Fernsehjournalismus lebt von Bildern, Fernsehjournalist_innen kommen den Menschen bei ihrer Arbeit meist sehr nah. Wie hat die Corona-Pandemie eure Berichterstattung verändert?
Journalismus insgesamt lebt ja davon möglichst dicht dran zu sein. Bei uns Fernsehleuten bedeutet dies auch körperliche Nähe. Seit Corona gehen wir auf Distanz, arbeiten mit verlängerten Mikroarmen, angeln den Ton oder benutzen nach wie vor die guten alten Anstecker. Alles nicht neu, das Meiste erprobt und altbekannt aber wirkungsvoll. Gerade jetzt ist es wichtiger denn je, Rücksicht zu nehmen auf Ängste der Protagonisten und Interviewpartner (Abstandsregeln etc.) aber auch die Sorgen des Teams, also meiner Kollegen. Es geht um Schutzmasken im Team-Fahrzeug, es geht um Mikrofon-Desinfektion nach der Vertonung von MAZen, es geht um Abstandsregeln innerhalb der Redaktion mit entzerrten Schreibtisch-Strukturen, Plexiglaswänden in der Regie aber auch Arbeit aus dem Home-Office heraus, um die Anzahl der Kollegen in der Redaktion zu reduzieren. Das bedeutet tägliche Redaktionskonferenzen per Video-Schalte, das bedeutet auch die Kollegen soweit zu schulen und auch technisch in die Lage zu versetzen, dass sie gedrehtes Material zu Hause am Laptop zu einer MAZ verarbeiten. Recht beliebt sind jetzt auch Skype- oder andere Online-Schalten für Interviews. In Vor-Coronazeiten ein eher seltenes Element in der Sendung, weil die Bildqualität schon ziemlich lausig ist. Doch wir nutzen jetzt auch dieses Mittel der effektiven Abstand-Haltung selbstverständlich und immer häufiger. Und öfter als früher gibt es an Drehorten wie Gericht, Rathaus, UKE usw. auch individuelle Pool-Lösungen bei Pressekonferenzen, so dass sich die Zahl der Kollegen am Drehort in engen Grenzen hält. Es sind also viele Maßnahmen die in ihrer Gesamtheit wirkungsvoll sind. Trotz aller Schwierigkeiten sind wir aber noch in der Lage Reportagen zu drehen und auch atmosphärisch dichte Geschichten zu drehen.
Welche Erkenntnisse ziehst du als Redaktionsleiter daraus für dein Team?
Ich habe gelernt, dass vieles was früher undenkbar und nicht umsetzbar erschien, heute Standard ist und dass wir neue Herausforderungen und Probleme selbstverständlich lösen können. Wir schaffen das, indem wir unsere technischen Möglichkeiten erweitern, anpassen oder auch einfach effizienter nutzen. Wir finden Lösungen und sind zu einem Team zusammengewachsen, das noch besser als früher kommuniziert und Abläufe organisiert. Eine Erkenntnis ist aber auch, dass professionelles tagesaktuelles Fernsehen, welches inhaltliche und technische Qualitätsanforderungen erfüllt, nicht mal eben so „von zu Hause aus“ produziert werden kann. Wir sind nach wie vor ein Präsenz-Betrieb, der seine Journalisten und Techniker tatsächlich IN der Redaktion braucht. Unsere Out-of-Office Möglichkeiten sind umsetzbar, aber begrenzt. Und es funktioniert auch nur, wenn alles im Vorfeld geplant, besprochen und sehr eindeutig und klar kommuniziert wird. Mir wurde in den vergangenen Monaten einmal mehr bewusst, mit welchen Profis ich hier zusammenarbeiten darf. Wir sind ein wirklich gutes Team, das gerade auch im Krisenmodus in der Lage ist auf neue Anforderungen jeglicher Art zu reagieren.
Bereits vor der Corona-Krise spielte die Digitalisierung für euch eine große Rolle. Das klassische Fernsehen – linear, über das TV-Gerät – war einmal. Auf welchen Kanälen berichtet ihr heute?
Das klassische Fernsehen ist nicht tot, sondern immer noch sehr lebendig. Der lineare TV-Konsum ist nach wie vor tägliches Ritual bei vielen unserer Zuschauer. Sie empfangen uns über Kabel, DVBT2-HD, digitalen Satellit aber auch per Livestream auf
unserer Homepage. Und sie nutzen unsere kostenfreie Mediathek, unsere App und die Social-Media-Kanäle wie Instagram oder YouTube. Diese unterschiedlichen Kanäle sind programmbegleitende Elemente. Der Zuschauer hat seine Gewohnheiten geändert, wir haben reagiert. Als User nutzt er die Angebote in seinem immer digitaler werdenden Leben. Er erwartet und bekommt von uns Informationen schneller als früher, er ist kritischer und nutzt mehr Quellen. Er sucht gezielter und konsumiert häufig nicht mehr nur die komplette Sendung, sondern tummelt sich auch auf den anderen Kanälen die wir ja ebenfalls mit Content befüllen. Dies ist Content, der nicht zwingend in unserer Sendung auftaucht, sondern darüber hinaus, maßgeschneidert für die unterschiedlichen Kanäle produziert wird. Ein für YouTube produzierter Film kann, muss aber nicht, in der Sendung laufen, und die Insta-Story funktioniert natürlich völlig anders als die Hintergrund-Reportage über den Hamburger Hafen oder eine Story für Facebook. Mit der Gruppe „Ich liebe den Norden“ z.B. versorgen wir Norddeutsche und Fans des Nordens mit spannenden Geschichten, Lifehacks, Rezepten, Grafiken, Reisetipps, Musik von norddeutschen Interpreten, Veranstaltungsterminen usw. Wir versuchen dort zu sein, wo unsere Zuschauer sind.
Was bedeutet das für die Redakteur_innen und ihren Arbeitsalltag?
Für unseren Arbeitsalltag bedeutet das, dass wir Möglichkeiten haben andere und mehr Geschichten zu erzählen, denn die Verbreitungswege sind vielfältiger und unterschiedlicher geworden. Das bedeutet aber auch, dass das gesamte Arbeitsumfeld und damit die Anforderungen an die Mitarbeiter gewachsen sind. Es ist z.B. das Foto, der Schwenk oder die bereits am Handy geschnittene und in die Redaktion gesendete Szene vom Dreh als Teasing für das Netz, es sind die unterschiedlichen Erzählmöglichkeiten einer Geschichte, es ist die Diversität der zum Einsatz kommenden technischen Geräte, die von den Kollegen höchste Konzentration und beste Ausbildung erfordern. Dafür bieten wir externe und interne Schulungen an, z.B. zu den Bereichen Online-Storytelling, Instagram, Facebook, YouTube und Co. Offensichtlich ist, dass Online und klassische TV-Redaktion immer enger zusammenwachsen und Bereiche im Producing bereits heute inhaltlich hybride Arbeitsplätze sind. Die technischen Anforderungen sind komplex und ein komplett digitalisierter Ablauf von Dreh bis zum Ausspiel der fertigen MAZ funktioniert nur mit Fachleuten, die Spaß daran haben Neues zu lernen und kreativ die Umsetzung zu gestalten. Klar ist aber auch, dass der Mensch, der die Geschichte recherchiert und umsetzt vor allem Journalist ist: Er baut die Story und bringt sie auf den Punkt.
Warum bleiben Live-Sendungen dennoch wesentlicher Bestandteil eures Formats?
Die Herstellung einer tagesaktuellen Live-Sendung mit allem was dazu gehört ist ganz einfach eine schöne Aufgabe und das Salz in der Suppe journalistischer Arbeit. Möglichst dicht und aktuell über Ereignisse zu berichten und die technischen Möglichkeiten zu nutzen, auch mit mobiler Übertragungstechnik Material zu überspielen, Live-Schalten direkt in die Sendung zu realisieren und über die uns zur Verfügung stehenden Kanäle Information zu verbreiten. Das ist einer der Gründe eine Livesendung zu produzieren. Ein weiterer liegt im Rundfunkstaatsvertrag: Der verpflichtet nämlich reichweitenstarke, bundesweit empfangbare Fernsehvollprogramme zur Veranstaltung von regionalen Fernsehprogrammen, sogenannten Regionalfenstern. Grund ist die Sicherung der Meinungsvielfalt. Für Sat.1 als Tochterunternehmen der ProSiebenSat.1 Media SE gilt diese Verpflichtung. Qualität und Quantität der Inhalte der von Sat.1 Norddeutschland produzierten Programme sind an Auflagen gebunden. Diese sind in der Fernsehfensterrichtlinie festgelegt und sollen „der aktuellen und authentischen Darstellung der Ereignisse des politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Lebens“ in dem jeweiligen Land dienen. Die Landesmedienanstalten kontrollieren und überwachen uns bei der Einhaltung dieser Vorschriften und wir versuchen vor diesem Hintergrund ein möglichst attraktives Programm und gut aufbereitete Themen zu bieten.
Anmerkung: Aus Gründen der leichteren Lesbarkeit wird im vorliegenden Text die gewohnte männliche Sprachform bei personenbezogenen Substantiven und Pronomen verwendet. Dies impliziert jedoch keine Benachteiligung des weiblichen Geschlechts, sondern soll im Sinne der sprachlichen Vereinfachung als geschlechtsneutral zu verstehen sein.