Vanessa Wormer leitet das Innovationslabor des Südwestrundfunks, das SWR X Lab. Ihr Team befähigt Redaktionen dazu, nutzerzentriert neue digitale Angebote und Produkte zu entwickeln. Zuvor war sie Teamleiterin für Datenjournalismus bei der Süddeutschen Zeitung und Teil des globalen Teams, das für die Recherchen zu den Panama Papers mit einem Pulitzer-Preis ausgezeichnet wurde. Vanessa Wormer berät als Coach die Teilnehmenden des Journalism Innovators Program (JIP).
WEITERBILDUNG / MEDIA INNOVATION PROGRAM
Fünf Fragen an Vanessa Wormer
Du leitest das SWR X Lab – das Innovationslabor des Südwestrundfunks. Wie können wir uns die Arbeit von dir und deinem Team vorstellen? Wie sieht die Zusammenarbeit mit den Redaktionen des SWR aus?
Wir unterstützen Redaktionen im SWR bei der Entwicklung neuer digitaler Angebote für Menschen, die der öffentlich-rechtliche Rundfunk mit dem linearen Programm nicht erreicht. Wir arbeiten ein wenig wie eine Agentur im eigenen Unternehmen: Wir leiten unsere Kolleg*innen mit Hilfe nutzerzentrierter Methoden an und schaffen einen Raum, in dem Neues entstehen kann. Uns treibt die Frage: Wie können wir groß denken, aber klein starten und schnell liefern? Hin und wieder sitzen wir auch selbst mit an der Werkbank und übersetzen neue Produktideen in Prototypen, die wir an Nutzer*innen testen können. Wir arbeiten viel in interdisziplinären Teams und holen uns regelmäßig Input von außen. Auch mit Startups, Wissenschaft und Kreativ-Wirtschaft arbeiten wir zusammen.
Im September 2020 hat der Sender das noch recht junge Innovationslabor aus der Taufe gehoben. Gibt es bereits Produkte oder Formate, die ihr entwickelt habt? Wie werden sie in den Redaktionen eingesetzt und was ist dein bisheriges Lieblingsprojekt?
Im ersten Jahr haben wir einige Formatentwicklungen begleitet, zum Beispiel das ARD-Format „Du stimmst“ zur Bundestagswahl. Dabei haben wir gelernt, wie nutzerzentrierte Methoden wie Design Thinking bei der Entwicklung von journalistischen Formaten helfen können (und wo sie zu kurz greifen). Zuletzt haben wir eine digitale Toolbox für Formatentwicklung zusammengestellt, die den Redaktionen im SWR hoffentlich nachhaltig dabei helfen wird, nutzterzentriert zu arbeiten. Uns wurde auch klar, dass wir uns noch mehr auf große, komplexe Zukunftsfragen konzentrieren müssen: Wie können Journalist*innen den Dialog in der Gesellschaft befördern? Wie sprechen wir Menschen an, die wir bislang noch nicht erreichen konnten? Wie sieht der Klimajournalismus der Zukunft aus? Das sind komplexe Fragen, die man nicht in einer Woche Design Sprint lösen kann. Deshalb haben wir ein neues Inkubator-Programm entwickelt, in dem Medienschaffende vier Monate lang zentrale journalistische Fragen explorieren sollen. „Deep X“ ist deshalb ein Lieblingsprojekt von mir, weil wir hier den großen Fragen unserer Zeit Raum geben wollen und die Journalist*innen dazu befähigen, dem Problem wirklich auf den Grund zu gehen, bevor das nächste Format entwickelt wird. Um konkrete Lösungen und neue Angebote soll es dann aber auch gehen.
Wie ist es um die Innovationskraft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks bestellt? Hat er einen Schub nötig, wie ihn beispielsweise ein Lab liefern kann?
Als Antwort auf die Frage empfehle ich den Instagram-Account @oer.memes. Im Ernst: Klar müssen wir Gas geben, es braucht viel Schub im System. Deshalb ist es auch so wichtig und wertvoll, dass es viele Innovationsteams im öffentlich-rechtlichen Rundfunk gibt und mutige Redaktionen, die sich auch außerhalb von Design Sprints trauen, Neues auszuprobieren. Und ich bin auch überzeugt, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk innovativ sein kann. Wir haben schließlich das große Privileg, Medienangebote entwickeln zu dürfen, die erst einmal keinen kommerziellen Interessen dienen müssen. Innovationspotenzial sehe ich zum Beispiel in der Frage, wie es uns gelingt, erfolgreiche und wertvolle Medienerlebnisse zu schaffen, die nicht blind den Regeln der Aufmerksamkeitsökonomie folgen. Wir versuchen das im SWR X Lab, indem wir den Werten, die Teil unseres öffentlich-rechtlichen Auftrags sind, auch in unseren Workshops und Methoden Raum geben. Wenn wir also eine neue News App für die Gen Z entwickeln, treibt uns natürlich auch die Frage um, wie wir damit möglichst viele Menschen erreichen. Aber mindestens genauso wichtig muss die Frage sein, wie uns eine User Experience gelingt, die nicht ausschließlich auf den Dopamin-Ausstoß der Nutzer*innen aus ist.
Deine Leidenschaft für den Datenjournalismus ist deinem beruflichen Lebenslauf anzumerken. Welche Rolle spielen Daten bei der Entwicklung innovativer und digitaler Formate im Journalismus heutzutage?
Dateninformiertes Arbeiten spielt eine große Rolle in unseren Innovationsprozessen. Daten z.B. aus quantitativen Studien geben uns Hinweise darauf, was die Menschen da draußen umtreibt. Wir validieren unsere Entwicklungen durch User Testings und Umfragen. Und nicht zuletzt helfen uns die rasanten Entwicklungen im Bereich Data Science und Machine Learning auch bei der Entwicklung neuer digitaler Produkte, z.B. wenn wir für eine Gaming Experience mit Chatbots experimentieren. Journalismus mit Daten ist für mich noch mal eine andere Sache, in der nicht weniger Innovationspotenzial liegt. Leider wächst der Datenjournalismus in Deutschland nur langsam. Es bräuchte mehr Data Literacy in den Redaktionen und wesentlich mehr Nachwuchs-Datenjournalist*innen, die in die Redaktionen drängen.
Du berätst die Teilnehmenden des JIP als Coach. Beende bitte den Satz: „Ich bin der perfekte Coach für die Fellows, die…“
… damit klarkommen, dass ich mehr Fragen als Antworten für sie habe.