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WEITERBILDUNG / MEDIA INNOVATION PROGRAM

DJF: Kolumne "Medien retten, aber wie? Geschichten vom Marktversagen"

Alexandra Borchardt farbe

Martin Kotynek, Chefredakteur der österreichischen Tageszeitung Der Standard, konnte es kaum fassen. Da hatte die österreichische Regierung ein Paket zur Unterstützung der heimischen Medienbranche geschnürt, und darin die Vergabe der Mittel an die jeweilige Auflage der gedruckten Zeitungen geknüpft. „Das ist ein Boulevard-Belohnungsgesetz“, wetterte er in einem Kommentar. Denn bekanntermaßen haben Boulevard-Zeitungen höhere Auflagen als Qualitätsmedien, zu denen Der Standard zählt. Im Ergebnis hätten die Abo-Zeitungen im Schnitt nur ein Zehntel jener Unterstützung bekommen, die den reichweitenstarken Kiosk-Blättern und Gratiszeitungen zugestanden hätten. Ob dies ein Versehen sei, fragte Kotynek. „Oder steckt Absicht dahinter, dass ausgerechnet jene Medien belohnt werden, die an der Politik diverser Regierungsmitglieder meist nur wenig auszusetzen haben?“ Nach Protesten wurden die Vergabe-Kriterien leicht nachgebessert. Immerhin, das österreichische Paket ist insgesamt 32 Millionen Euro schwer.

Der Journalismus braucht Hilfe. Dabei erlebt er in diesen Tagen der Corona-Krise ein Paradox: Einerseits ist er gefragt wie selten zuvor. Bürger greifen auf Webseiten zu, verschlingen Zeitungen und schließen sogar dort Digital-Abos ab, wo sie es gar nicht müssten, weil die Redaktionen die digitale Corona-Berichterstattung frei zugänglich gemacht haben. Profiteure sind die lange gescholtenen „Mainstream Medien“. Polarisierende Seiten an den Rändern des politischen Spektrums verlieren dagegen Leser, stellte die New York Times in einer aufschlussreichen Analyse über die neue digitale Mediennutzung fest, Titel: „The Virus Changed the Way We Internet“.

Andererseits kollabieren ringsum die Geschäftsmodelle. Das Anzeigenvolumen bricht ein, Veranstaltungen dürfen nicht stattfinden, Geldgeber für gemeinnützigen Journalismus leiden unter den Einbrüchen an den Börsen – und außerdem konkurrieren derzeit viele gute Zwecke um die Aufmerksamkeit von spendablen Milliardären. In dieser Krise sollte es drei Regeln geben, scherzen Steven Waldman und Charles Sennott im Magazin The Atlantic: „Waschen Sie Ihre Hände, fassen Sie Ihr Gesicht nicht an und abonnieren Sie Ihre Lokalzeitung.“ Titel ihres Artikels: „The Coronavirus is Killing Local News.“

In den USA, wo Investoren nicht lange fackeln, hagelt es bereits Entlassungen in Redaktionen und Verlagen. Innovative digitale Medienmarken werden eingestellt, wie das amerikanische Digitalportal The Outline oder zum Verkauf angeboten, wie der deutsche Ableger von Buzzfeed. Das Poynter Institute in Florida trägt in einer Liste alle Nachrichten über Stellenabbau und Pleiten zusammen. Es dauert eine ganze Weile, bis man ganz nach unten gescrollt ist – auch weil sie ständig aktualisiert wird.

In Europa spiegelt sich die Lage ebenso drastisch in den Bilanzen, nur gibt es hier mehr wirtschaftspolitische Instrumente, um den harten Aufprall abzufedern – in der Hoffnung, dass die maßgeblichen Spieler noch immer dabei sind, wenn es irgendwann wieder aufwärtsgeht. In vielen Ländern setzen Verlage ihre Mitarbeiter auf Kurzarbeit, ein großer Teil der deutschen Häuser nutzt dieses Instrument, darunter Größen wie die Südwestdeutsche Medienholding SWMH und die Funke-Mediengruppe. Und mancherorts, siehe Österreich, springen Regierungen der Branche mit spezifischer Unterstützung bei.

Dänemark war das erste Land, in dem das Parlament ein Hilfspaket im Volumen von rund 25 Millionen Euro verabschiedete. Es sieht vor, die Ausfälle durch verlorene Anzeigeneinnahmen zu kompensieren, diejenigen mit den größten Verlusten bekommen mehr Hilfe. Die World Association of News Publishers WAN-IFRA hat in einer Übersicht zusammengefasst, was in welchem Land und auf Ebene der Europäischen Union getan wird. Die Bandbreite der Maßnahmen reicht von öffentlich finanzierten Anzeigenkampagnen, die in Medien geschaltet werden, bis hin zu Steuerermäßigungen und -erlassen. Eine Gruppe von ehemaligen und aktiven Europa-Parlamentariern sowie Medienschaffenden hat Kommissions-Präsidentin Ursula von der Leyen in einem Brief aufgefordert, die Medienbranche mit Mitteln aus dem EU-Haushalt zu unterstützen.

So viel ist klar: Dies ist kein Betteln um Subventionen, weil man seine Hausarbeiten nicht gemacht hat. Im Gegenteil, in der Branche ist die Not schon länger groß. Viele Verlage und Redaktionen haben deshalb mit einiger Kreativität neue Einnahmequellen erschlossen und direkte Beziehungen zu ihren Lesern entwickelt. Sie wollten den Beweis antreten: Guter Journalismus hat einen Markt. Nur versiegen die Geldflüsse derzeit überall. Klar ist jedoch, dass Bürger sich zwar damit arrangieren können, mal eine Weile lang auf Urlaub, Events und Essengehen zu verzichten – so tragisch das für diejenigen ist, die in diesen Geschäftsfeldern ihren Lebensunterhalt verdienen. Aber verlässliche, aktuelle, akkurate und unabhängige Informationen zu bekommen, ist in einer Krise wie dieser so wichtig, wie das tägliche Brot, tatsächlich eine Frage des Überlebens.

Es ist die Tragik dieser Katastrophe, dass es jetzt gerade auf die Sektoren ankommt, in denen der Markt weitgehend versagt: den Gesundheitssektor, die familiäre Pflege und Betreuung – auch unter dem Stichwort „Care Arbeit“ zusammengefasst – und eben den Journalismus. Marktversagen lässt sich nur durch Umverteilung ausgleichen. Wenn diese Krise abflaut, wird es darüber Debatten geben müssen.

Nur starker Journalismus kann diese Debatten begleiten. Neben aller finanziellen Hilfen für die Medienbranche ist es deshalb existenziell, dass ihre Unabhängigkeit gewahrt bleibt. Gerade in Krisen ist die Versuchung groß, mit Förderung Politik zu machen, Lieblinge zu belohnen und kritische Geister zu ignorieren oder bewusst auszusperren. Wer auch immer die Geldgeber sind, ob Regierungen, Konzerne, Stiftungen oder Mäzene: Sie müssen dieser Versuchung wiederstehen. Journalisten und ihre Organisationen werden genau hinschauen, ob ihnen das gelingt.