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Interview mit Philipp Kohlhöfer

Philipp Kohlhoefer

Wissenschaft erlebbar machen – das ist das Credo von Autor Philipp Kohlhöfer. Sein aktuelles Buch Pandemien: Wie Viren die Welt verändern macht den Spagat zwischen informativ und unterhaltsam, zwischen Sachbuch und Roman. Könnte das auch der Weg für Journalist*innen sein, um Zugang zu komplexen Themen zu finden? Auf diese und andere Fragen erhalten wir Antworten von Philipp Kohlhöfer im JIP:Interview.

Herr Kohlhöfer, Sie sind kein Virologe. Hat das die Arbeit an Ihrem Buch erschwert?
Dass ich weder Virologe noch Wissenschaftler bin, scheint mir kein Nachteil zu sein, im Gegenteil. Ich würde sogar sagen: Ich finde das Thema interessant, bin aber in letzter Konsequenz daran nicht interessiert. Bevor ich den 100sten Text zum Thema lese, lese ich lieber was über Eintracht Frankfurt. Und das geht ja der überwiegenden Mehrzahl der Menschen auch so. Mein Zugang ist also ein sehr durchschnittlicher, glaube ich: interessiert, aber eben nicht nerdig. Ich mag allerdings Wissenschaft sehr. Und ich habe schon den Ehrgeiz, alles zu verstehen, wenn ich einmal angefangen habe. Außerdem erzähle ich gerne und lasse mich gerne unterhalten. Und alles, was ich schreibe, muss diesen Ansprüchen genügen: Erklären. Erzählen. Unterhalten.

Und wie haben Sie einen unterhaltsamen Zugang zu dem Thema gefunden?

Die Anfangsüberlegung ist nicht: Wie nähere ich mich einem Thema, damit es den anderen gefällt? Eher so: Wie schaffe ich es, mich lange mit einem Thema zu beschäftigen, ohne dass es mich langweilt? Ich mag einfach Tempo, ich mag schnelle Schnitte, und ich mag es umfassend zu sein, nicht nur einen Suchscheinwerfer anzuschalten, sondern den gesamten Raum zu erhellen. Außerdem will ich keine Vorabendserie sein und nicht Terra X, sondern Kino. In dem Fall hieß das: Zwar ist Corona aus naheliegenden Gründen der Einstieg, aber es durfte nie ein Corona-Buch sein. Das ist nur der Beginn, aber dann geht es ja weiter zu Ebola und HIV, der Cholera und ganz vielen verschiedenen anderen unangenehmen Krankheitserregern. Und an deren Beispiel erkläre ich Wissenschaft: Wie sie arbeitet. Wie sie funktioniert. Wie sie organisiert ist. Erzählerisch und unterhaltend. Und ich glaube wirklich, dass man das tun sollte. Das Verkünden von Ergebnissen reicht nicht aus - weil es schlicht in der Gesellschaft kein Wissen darüber gibt, wie Wissenschaft überhaupt funktioniert. Und wenn ich das mit meinem Kino-Ansatz verbinde, dann führt mich das fast zwangsläufig zu dem Stil, in dem das Buch verfasst ist.

Sie haben mit verschiedenen Menschen wie dem Virologen Christian Drosten und der Fledermausexpertin Mirjam Knörnschild gesprochen. Welcher Teil Ihrer Recherche ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?

Zweifellos die Reise nach Rumänien, weil da der Tod immer allgegenwärtig war – die Verleugnung aber auch schon. Und zwar zu einem Zeitpunkt als das hier noch nicht in diesem Ausmaß der Fall war. Da sind vormittags Leute erstickt und nachmittags war ich mit anderen Leuten essen, die das Ersticken mit dem Argument bestritten, dass der Rumäne an sich so ein harter Typ ist, dass er nicht von Viren krank wird. Es ist eine Sache, wenn man davon liest, eine ganz andere aber, wenn man das tagelang durchgehend erlebt. Auch da haben Fakten im Übrigen gar nichts gebracht.

Und welcher Fakt hat Sie selbst am meisten überrascht, den Sie so vorher nicht in den Medien gelesen haben?

Generell findet in den Medien immer eine Verkürzung statt. Das geht aus Platz- oder Zeitgründen auch gar nicht anders. Die Frage ist nur: Was verkürze ich? Verkürze ich globale Entscheidungsprozesse und tue so, als sei Deutschland allein auf der Welt und als seien einzelne Personen schuld an der jeweiligen Situation? Oder verkürze ich auf der wissenschaftlichen Ebene? Das ist in jedem Fall besser, weil es voraussetzt, dass man sich erstmal einlässt auf die Wissenschaft. Was bei Version 1 eigentlich nie der Fall ist. Insofern war für mich interessant, wie alles in ein größeres Bild passt. Und das meint nun nicht irgendwelchen Verschwörungsquatsch, denn es muss sich niemand verschwören, um die Gesellschaft an den Rand ihres Funktionierens zu bringen. Das kann die Natur schon ganz allein. Es meint vielmehr, dass eine Frage immer sofort zu einer anderen führt. Eigentlich ist es unsinnig, ein Virus zu betrachten, ohne sich ein Bild von den viralen Ökosystemen zu machen. Ich kann Pandemien nicht erklären, ohne ein Verständnis für Mutationen zu haben. Und das Beschreiben von Ausbrüchen nutzt mir auch erstmal wenig, wenn ich kein Verständnis habe vom Spreading von Viren, das aber wiederum bei allen Viren verschieden funktioniert - und auch das muss ich eigentlich erklären. Und das hat dann schnell auch gar nichts mit Corona zu tun, sondern ist Teil jeder Pandemie.

Gibt es auch ein konkretes Beispiel?

Das Narrativ, dass die schlimmsten Ebolaviren aus Fledermäusen kommen, ist so eins. Dafür gibt es zwar Indizien, aber in letzter Konsequenz ist das niemals, noch nie, bewiesen worden. Aber selbst in wissenschaftlichen Medien wird das so gut wie nie hinterfragt. Und durch die ständige mediale Wiederholung ist das so in den Köpfen drin, wie „Haie sind KiIlermaschinen“, was auch totaler Blödsinn ist, und eine ganze Tierfamilie verurteilt. Fledermäuse sind, um das mal klar zu sagen, keine bösartigen Tiere und auch nicht gefährlich.

Ihr Buch ist ein Sachbuch aber wie ein Roman mit wechselnden Protagonist*innen und Schauplätzen aufgebaut. Braucht es ein bestimmtes Storytelling, um dem Publikum komplexe Themen zu vermitteln?

Ich glaube nicht, dass es den einen Königsweg gibt, wie man komplexe Themen vermitteln kann. Ich bin mir allerdings ziemlich sicher, dass es keine Klugscheißerei benötigt, kein von oben Wegerklären. Meine persönliche Meinung ist außerdem, dass man sich ganz dringend nicht so ernst nehmen sollte. Letztlich hat auch das medial drängendste Thema in den allermeisten Fällen mit der unmittelbaren Lebensrealität der meisten Menschen wenig bis nichts zu tun.

Schon früh in der Pandemie haben Sie mit Ihren Recherchen begonnen. Wie haben Sie die Berichterstattung zu dieser Zeit wahrgenommen?

Im Großen und Ganzen fand ich immer alles sehr ausgewogen. Für diejenigen, die jetzt Schnappatmung bekommen, weil sie finden, dass man irgendwelchen YouTube-Ärzten eine größere Bühne geben müsste: Objektivität bedeutet eben nicht, dass man jeder Meinung Raum gibt. Es müssen nicht beide Seiten gehört werden, wenn eine davon totalen Blödsinn erzählt. Zu Beginn ging es ja darum, erstmal Grundlagen zu erklären. Da konnten dann relativ viele Leute mitreden, die sich auch nur am Rande mal in dem Gebiet bewegt haben. Später wurde das immer kleinteiliger, und da merkte man dann schon, wer im Thema ist und wer sich damit nur oberflächlich beschäftigt hat – und das schließt auch diejenigen mit ein, die immer wieder von Talkshow-Redaktionen als Expert*innen verkauft wurden. Bevor jetzt jemand auf die Idee kommt: Hendrik Streek meine ich ausdrücklich nicht. Man konnte teilweise inhaltlich anderer Meinung sein, bei dem was er sagte, aber letztlich hat er den Boden des wissenschaftlichen Konsenses nie verlassen. Und auf dem hat sich generell die ganze Debatte immer bewegt, von Anfang an. Insofern war das schon gut.

Und heute? Berichten Journalist*innen mittlerweile anders über das Virus?

Ich bin kein Medienwissenschaftler und im Detail ist mir auch völlig egal, was Journalist*innen tun. Ich möchte mir nicht anmaßen, über die Arbeit von irgendjemanden zu urteilen. Eine Ausnahme gibt es allerdings: Was mich wirklich stört, ist dieses komische Selbstverständnis mancher Journalist*innen, dass man aus Prinzip immer dagegen sein muss, wenn von staatlicher Seite irgendetwas kommt. Sicherlich ist da manches diskussionswürdig, aber: Nein, das muss man nicht. Das ist bei Naturwissenschaften auch schwer möglich. So sinnvoll das Prinzip „Ich glaube erstmal gar nichts“ im politischen Journalismus sein kann, so falsch ist es eben, wenn es um Naturwissenschaften geht. Da ist alles messbar, das ist keine Meinung. Dennoch neigt ein größeres deutsches Medienhaus seit zwei Jahren dazu, aus wissenschaftlichen Standards eine Meinung zu machen. Und das bedient ausschließlich Verschwörungsquatsch – und ist letztlich hochgradig demokratiezersetzend. Das Gerede etwa, dass man der PCR nicht trauen kann. Das ist einfach falsch. Die PCR wird seit Jahrzehnten in allen möglichen Bereichen genutzt. Man muss nicht darüber reden, ob das vielleicht doch nicht der Goldstandard ist, weil man sonst auch darüber reden könnte, ob die Erde eine Scheibe ist. Und das tut aus nachvollziehbaren Gründen keiner. Es gibt auch beispielsweise keine „Rohdaten“, die irgendwo rumliegen. Das gibt es einfach nicht, das muss man auch nicht ständig raunend wiedergeben. Was soll das sonst suggerieren außer einer großen Verschwörung? Das mag jetzt arrogant klingen, aber das liegt natürlich auch daran, dass die Beteiligten auch nach über zwei Jahren Grundlegendes zur Epidemiologie nicht verstanden haben.

Welche Tipps können Sie Kolleg*innen geben, die über schwer zugängliche Themen berichten sollen?

Niedrigschwellig erklären. Mehr Demut vor dem jeweiligen Thema und vor den Rezipient*innen. Keine Alleserklärer*innen sein. Und vor allem nicht mit dem Impetus „Ich weiß alles besser“ erklären. Einwände ernst nehmen, auch wenn sie schon tausendmal erklärt wurden. Dann macht man es eben nochmal.

Und die Wissenschaftler*innen? Können auch sie in ihrer Kommunikation mit den Journalist*innen dazu lernen?

Generell: Weniger Angst vor Fehlern. Weniger wissenschaftliches Klein-Klein, mehr Bilder. Konkret: Ich glaube nicht, dass sich irgendjemand ernsthaft für die Beschaffenheit von Spike-Proteinen interessiert. Ich habe in den letzten zwei Jahren zumindest noch nie jemanden außerhalb der Wissenschaftsblase getroffen, der das tut. Warum auch? Das ist super speziell. Eine große Masse wird man damit nie erreichen. Das muss man aber, etwa um Impfen richtig zu erklären. Und daher muss man dann eben ein Bild finden, das möglichst plastisch ist. Biochemie hilft da nicht unbedingt weiter. Außerdem ist es meiner Erfahrung nach besser, mal auf die Zwölf zu formulieren, als einen ganz unwahrscheinlichen Fall, der ohnehin nur einmal in hunderttausend Jahren auftritt, in die Kommunikation miteinzubeziehen. Das ist dann zwar wissenschaftlich korrekt, bremst aber den Rest komplett aus. Natürlich muss deswegen trotzdem alles richtig sein, aber das ist eben der Spagat, den man leisten muss. Und da kommen wir wieder zum Anfang des Gesprächs: Ich glaube nicht, dass es ein Nachteil für mich ist, kein Wissenschaftler zu sein.

© Foto: Achim Multhaupt