Von großer Transformation über einen Höllenritt zu künftigen Large Language Models und Augmented Reality.
Zum ersten Mal hat die Hamburg Media School den MediaTechDay im Digital- und Medienmanagement veranstaltet, für Vollzeit- wie für EMBA-Studierende. Das Thema: Künstliche Intelligenz (KI) – denn kaum ein anderes Thema beherrscht derzeit den öffentlichen Medien-Diskurs so sehr. Das belegt übrigens mithin die Zahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer, Raum 205 war bis auf den letzten Platz besetzt.
MediaTechDay der HMS zum Thema KI
Erste Referenten waren Oliver Kutsche, Head of Mobile Development (Gruner + Jahr/RTL) und Jan Köster, Vice President Transformation (Gruner + Jahr/RTL). Gleich zu Beginn machten sie deutlich: Gruner + Jahr befindet sich im Prozess der grundsätzlichen Umwandlung vom Verlag zu einem digitalen Unternehmen. Und damit ist klar: „Wir wollen eine KI-gestützte Organisation werden.“ Auf diesem Weg gelte es alle Kolleginnen und Kollegen mitzunehmen, wobei der eine oder die andere angesichts dieser großen Herausforderung schon Bedenken habe mit Blick auf Chancen und Risiken.
Umso wichtiger sei es sich klarzumachen: „Heute und künftig geht es darum sich permanent weiterzubilden. Die Zeiten, da man zwei, drei Jahrzehnte bei einem Unternehmen bleibt, ist vorbei.“ Um eine KI-gestützte Medien-Organisation zu werden, gehe man bei Gruner + Jahr weniger „Prozess getrieben, vielmehr agil und iterativ vor.“ Und so würden nach und nach aus „Mitarbeitern Explorer.“ Zwar sei etwa ChatGPT ein besonders wichtiges KI-Tool, gleichwohl bleibe es dabei, dass Kernkompetenzen im Journalismus, etwa das Fact-Checking, wichtiger denn je seien. So würden die Fact-Checking-Teams bei RTL immer umfangreicher werden, um Fake News oder Halluzinationen bei ChatGPT aufzuspüren und zu korrigieren.
Die beiden Referenten unterstrichen auch, dass die Teams bei Gruner + Jahr/RTL heutzutage „viel autonomer und hybrider agieren“ als in der Vergangenheit. Die Teams seien auch kleiner und dadurch deutlich agiler. Wichtig war ihnen zu betonen, dass „wir bei diesem komplizierten, aber notwendigen Prozess alle Kolleginnen und Kollegen mitnehmen wollen.“ Dabei sei es von Bedeutung, dass man sich jenseits des Remote-Arbeitens sehr regelmäßig in Präsenz treffe, um einander besser zu kennen und sich gemeinsam weiter zu entwickeln.
Unser zweiter Referent war Eugen Gross, EMBA-Absolvent der HMS, der 2016 seinen Master-Abschluss machte. Ursprünglich war er ein sehr gut gebuchter freier Kameramann, um dann nach Beendigung des Studiums 2017 sein Startup Aiconix zu gründen, zunächst hatte er einen Schreibtisch im Hamburger Co-Working Space betahaus in der Schanze. Seine Vision damals – und damit ist er einer der KI-Pioniere in Deutschland – war: „Ich wollte, dass Aiconix die führende KI-Lösung für Übersetzung, Untertitel und Metadaten wird.“ Heute bietet Aiconix, führend in Live Transkription für TV, Radio, Broadcast und Medienproduktion in 23 Sprachen, zudem u.a. noch Optical Character Recognition, Keyword Detection oder semantische Hilfen.
Bis es allerdings zu alledem kam, durchlief Eugen Gross diverse Höhen und Tiefen vom Start-up zum Unternehmen. „Der Start von Aiconix war sehr vielversprechend, offenbar hatten wir eine Lücke im Medienmarkt definiert. Kunden wie dpa vertrauten uns, wir wuchsen rasch.“ Bis Corona kam, „Kunden ihre Aufträge stornierten, ich musste schweren Herzens Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen entlassen, es sah aus als drohe gar die Insolvenz,“ berichtete er sehr lebendig. Ende 2020 gelang aber ein Neustart, auch mit Hilfe einer Hamburger Förderung in Höhe von 800.000 Euro, im Laufe der Zeit konnten immer mehr Sprachen ins Programm aufgenommen werden.
Um weiter wachsen zu können – mit Blick auf KI-Technologie und Manpower – brauchte es weitere Investoren. Es war jedoch schwierig bei dem wirtschaftlichen Auf und Ab während der Corona-Zeit neue Investoren zu finden. „Dann verhandelten wir mit einem Luxemburger Unternehmen über 2,5 Millionen Euro,“ sagte Eugen Gross, „aber wir hatten uns zu früh gefreut, im Hintergrund dessen stand ein russisches Unternehmen, durch den Ukraine-Krieg konnten wir natürlich da nicht mitmachen.“ Das war ein echter Tiefschlag für Aiconix, die Eröffnung eines Insolvenz-Verfahrens musste eingeleitet werden, die Achterbahnfahrt führte Eugen Gross in neue Tiefen.
Gleichwohl blieben drei Monate, um eine Sanierung hinzubekommen, schließlich wurde ein neuer Investor, die ThinkOwl-Gruppe, gefunden, Aiconix wurde gerettet. „Nicht zuletzt deswegen, weil uns Kunden auch in schweren Zeiten treu geblieben sind,“ betont Eugen Gross, der nicht mehr Gesellschafter, aber weiterhin Geschäftsführer von Aiconix geblieben ist. „Und ich habe mich bei diesem Höllenritt nicht kaputtmachen lassen, musste jedoch lernen mich mit dem Scheitern auseinanderzusetzen.“ Kürzlich kam es nun zu einem Merger mit der KI-Plattform DeepVa, so ergeben sich neue Möglichkeiten zur Skalierung in Europa. Eugen Gross ist optimistisch. „Die Aiconix-Reise geht weiter.“ Mit Kunden wie etwa dpa, ProSiebenSat1, Axel Springer oder dem Startup Dock.
Der Daten-Journalist Marco Maas, CEO und Founder der vielfachen ausgezeichneten Datenfreunde, einer Digital-Agentur, die u.a. für das ZDF, Spiegel Online, Telefónica Deutschland oder Google arbeitet und Beratung bietet, führte die Studierenden dann in einem nicht minder furiosen Vortrag durch die schöne, neue KI-Welt, „die neue Bedürfnisse schafft und die eine oder andere Dystopie in Hinsicht auf unseren Journalismus aufkommen lässt.“ Menschlich klingende Sprache oder künstliche Bilder, die täuschend echt aussehen, gehören schon heute zu unser aller Medienalltag, wir müssen uns aktiv damit auseinandersetzen auf dem Weg „zu Multimodalitäten und zu ultrapersönlicher Software, die zu unserer individuellen Nutzung entwickelt werden wird.“
Rund alle zehn Jahre gäbe es eine Disruption in der digitalen Entwicklung, so etwa als Windows-Programme große Computer ablösten oder etwa als das iPhone unsere Kommunikation und unser Mediennutzungsverhalten revolutionierte. Marco Maas stellte zehn Thesen auf zur weiteren Entwicklung künstlicher Intelligenz. „Ein Grund für fortlaufende Innovation im Journalismus ist der Einsatz von Large Language Models (LLMs).“ Insbesondere in der Verarbeitung und der Analyse von Informationen sind sehr, sehr schnelle Fortschritte zu erwarten. Eine andere seiner Thesen: „Die Verifizierung von Inhalten wird zunehmend schwieriger werden und Medien sind vermehrt auf vertrauenswürdige Quellen angewiesen.“
Und weiter: „Die Verbreitung von persönlichen Assistenten wie Siri, Google Assistant und Alexa hat Auswirkungen auf die Art und Weise, wie wir Inhalte konsumieren werden.“ Inhalte müssen zunehmend an die individuellen Bedürfnisse der Nutzerinnen und Nutzer angepasst und in verschiedenen Formaten präsentiert werden. Allerdings werden durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz und Datenjournalismus Reporter, die in Nischen arbeiten, deutlich relevanter agieren können. „Spezifische Themenbereiche werden abgedeckt und ein tieferes Verständnis für Zielgruppen kann entwickelt werden.“
Durch das „Aufkommen personalisierter Apps und Assistenten wird das bisherige Internet an Bedeutung verlieren,“ prophezeit Marco Maas. Suchmaschinenoptimierung (SEO) werde weniger relevant sein in Zukunft. Last not least: „Website-, Newsletter- und App-Nutzer sind die neuen Print-Abonnenten.“ Es gelte, diese Nutzergruppen „bestmöglich zu monetarisieren und ihnen personalisierte Inhalte anzubieten.“ KI wird also unser zu Medien noch grundsätzlicher verändern als es das Internet schon getan hat.
Götz Trillhaas, Deutschland-Chef von Snapchat, beschloss schließlich den MediaTechDay. Bevor er zur Snap kam, war er für Google in Dubai und in Ost-Europa unterwegs, „seit knapp zwei Jahrzehnten bin ich im nationalen und internationalen Online-Business tätig,“ Snapchat Inc, das heute Snap Inc. heißt, wurde 2011 in Venice, im US-Bundesstaat Kalifornien, gegründet, weltweit hat es rund 4.000 Mitarbeiter und in Deutschland nutzen über 15 Millionen Menschen Snapchat, „Tendenz steigend“, betont der Managing Director.
Schon früh bekam Snapchat-Gründer Evan Spiegel ein Übernahme-Angebot von Facebook, und zwar 2013 über 3 Milliarden Dollar – Mr. Spiegel lehnte ab, wollte lieber weiterhin sein eigenes Ding machen. „Heute“, so Götz Trillhaas, „nutzen zum Beispiel über 95 % der Menschen im Nahen Osten Snapchat, weltweit sind es fast 415 Millionen.“ Götz Trillhaas unterstreicht, das sich Snap als eine Social App sehe und nicht als Teil von Social Media. „Denn bei uns bewegt man sich im Safe Space, unsere Inhalte sind kuratiert, wir wollen eben keinen sozialen Druck entstehen lassen bei unseren Usern wie er bei Social Media-Kanälen entstehen kann.“
Schon früh setzte Snapchat auf Augmented Reality, das zahlte sich in der Corona-Pandemie aus, „Snapchat wurde vom Spielzeug zum Werkzeug“, sagte Götz Trillhaas, der Online-Konsum stieg während dieser Zeit signifikant nach oben, besonders im Fashion- und Beauty-Bereich. Große Werbe-Kunden von Snapchat wie Zalando oder L’Oréal setzen stark auf Augmented Reality und etwa auf das virtuelle Anprobieren von Kunden. „Dadurch kommt es übrigens auch zu 25 % Prozent weniger Retouren bei den Waren,“ weiß der Snap-Chef zu berichten. Und er ist sich ganz sicher: „KI ist die Technologie, die schon da ist und die bleiben wird.“ Mit My AI war Snap die erste Plattform, die einen Chatbot angeboten hat, der auf der ChatGPT-Technologie von OpenAI basiert.
„20 Milliarden Anfragen wurden über My AI verarbeitet – da haben wir gemerkt wie richtig wir mit dieser KI gelegen haben bei unseren Usern.“ My AI kann die Frage nach dem Abendessen beantworten, eine Quizfrage auflösen oder bei der Planung einer Wanderung oder eines langen Wochenendes behilflich sein. So wurde My AI zu einem sehr wichtigen Tool, „denn wir wollen, dass unsere User auf unserer Plattform bleiben und sie eben nicht verlassen.“ So bleibt Götz Trillhaas, trotz des derzeit schwierigen ökonomischen Umfeldes optimistisch, dass „der deutschsprachige Raum für Snapchat stabil bleiben wird, der Fokus auf Augmented Rality wird sich weiter auszahlen.“ Und das Snap-Motto - „be smart, be kind and be creative“ – werde weiterhin seine Gültigkeit haben, Snap sei eine Company, die ihre Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen besonders wert schätze.