Berlin also.
Für eine kleine, letzte Abschluss-Exkursion mit den Studierenden des Jahrgangs 22 wollten wir ihrem ausdrücklichen Wunsch nachkommen, einmal Netflix von innen kennenzulernen.
Gewünscht – getan.
Und den Ausflug in die Hauptstadt dann so gestrickt, dass er sich mit dem Besuch des Medienpolitischen Dialogs der SPD-Bundestagsfraktion mit dem Titel „Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks – Chancen und Herausforderungen in der digitalen Transformation“ vereinbaren ließ.
Doch der Reihe nach.
DIGITAL- UND MEDIENMANAGEMENT / STUDIUM
Meeting Netflix - Teil 1 unserer Berlin-Exkursion
Netflix von 1997 bis heute:
Punkt 10h empfing uns also Ben Harris von Netflix. Die Berliner Dependance des Streaminganbieters hat mitten in der Corona-Pandemie 2021 ihre Pforten geöffnet und damit den ersten deutschen Standort in Betrieb genommen.
Die kleine Zeitreise, die Ben Harris uns in Erinnerung rief, machte die unheimlich rasante Entwicklung in diesem Markt noch einmal deutlich (die älteren Semester unter uns konnten sich sogar noch an Videotheken erinnern…).
Ben Harris fasste die Entwiclung in fünf folgenden Punkten zusammen:
1997 … from DVD-Mailing
2007 … to streaming
2013 … to content production
2016 … to going global
2021… to local markets
Neue Netflix-Strategie setzt auf lokale Märkte
Der letzte Punkt war aus aktueller Perspektive besonders interessant, weil er einen 2019 beschlossenen Strategie-Wechsel von Netflix verdeutlicht. In dem Jahr wurde entschieden, nicht mehr alles aus LA zu steuern, sondern sich auch auf lokale Märkte zu konzentrieren und dem auch mit lokal ansässigen Standorten Ausdruck zu verleihen. Es war auch das Jahr, in dem beschlossen wurde, sich in Berlin niederzulassen. Seit 2014 war Netflix zwar bereits im DACH-Raum verfügbar, es gab aber keine eigenen Deutschen Titel.
Ben Harris beschreibt Netflix Maxime seit 2019 so:
„Great stories can come from anwhere, and the can travel everywhere“.
Gemeint ist, dass Netflix glaubt, dass überall weltweit fantastische Inhalte entstehen können, die sich dann weltweit durchsetzen. Ein berühmtes Beispiel dafür ist sicherlich Squid Game aus Korea, dass zum erfolgreichsten Netflix-Angebot jemals wurde.
Zudem setzt Netflix auf die Strategie des „One Global Launch“. Eine neue Produktion wird also zeitgleich in 190 Ländern gelauncht, übersetzt in 32 Sprachen. Das Netflix-Publikum soll überall auf der Welt zeitgleich schauen und dann darüber diskutieren und sich austauschen können.
Content-Produktion
Cyrus Pahl gab im Anschluss sehr detailreiche und sehr aufschlussreiche Einblicke in die tatsächliche Content-Produktion. Bei der Content-Produktion setzt Netflix auf „partner-managed vs. self-managed“. Das bedeutet, dass in der Regel mit 20-30 großen Produktionshäusern zusammengearbeitet wird. Mit diesen findet ein reger Austausch statt, man trifft sich regelmäßig und die Häuser pitchen immer wieder neue Inhalte und Ideen. Dabei gilt auch das Motto „leaning into risk“ – Netflix will sich etwas trauen, auch untypische Inhalte wagen, „bold“ sein. Dahinter steht die Überzeugung, dass jenseits des konkreten Inhalts „creative excellence leads to „stickyness“.
Cyrus nächster Punkt deckt sich direkt mit der neuen Netflix-Strategie: „Producing for local audiences“. Netflix glaubt an die Idee, dass etwas, das hier super funktioniert, auch weltweit erfolgreich sein kann. „local for locals vs. local for global“ sind also im Endeffekt nur zwei Seiten derselben Medaille. Denn Produktionen wie „Die Kaiserin“ oder „Kleo“ sollen natürlich auch um die Welt gehen.
Der inhaltlichen Seite steht auch eine geschäftliche gegenüber. Netflix will zeigen, dass man jenseits von Hollywood sehr wohl lokal sehr gute Sachen produzieren kann. Es geht natürlich auch um Distinktion anderen Playern gegenüber: Es gilt zu zeigen, dass Netflix lokal besser produzieren kann als andere und vor allem auch lokal entstandene Produktionen besser monetarisieren kann als die Wettbewerber. 2007 revolutionierte Netflix die Serienwelt mit Produktionen von bis dahin ungekannter Qualität jenseits der Kinoleinwand. Nun soll dieses Kunststück im lokalen Markt wiederholt werden.
Fachkräftemangel erschwert lokale Produktionen
An dieser Stelle weist Ben Harris, seiner Funktion nach Manager Grow Creative, auf einen entscheidenden Faktor hin: Den Fachkräftemangel in der (deutschen) Filmbranche.
Deutschland ist hier aufgrund mehrerer Besonderheiten ein Sonderfall. Die Berufsbilder im Umfeld Film sind viel weniger durchlässig als in anderen Ländern. Hier ist Filmemachen im Regelfall eine langwierige, akademische Ausbildung, es gibt kaum Quereinsteiger (ganz anders als z.B. in den USA). Ausgebildete Talente werden in großer Zahl auch von den Öffentlich-Rechtlichen abgegriffen.
Netflix reagierte darauf mit einer eigenen Abteilung. Ben Harris beschreibt die Mission seiner Unit so:
„Netflix Grow Creative…
…expands and up-levels local talent pools through education and training“.
Denn ohne gut ausgebildete Talente wird die Strategie, lokal zu produzieren, nicht aufgehen. Sowohl Cyrus Pahl als auch Ben Harris betonen, es sei eine Wette, bei der man schauen müsse, ob sie wie erhofft ausgeht.
"Streaming Wars"
Dieser Aspekt gewinnt nur noch an Bedeutung, wenn man sich das Umfeld anschaut, in dem Netflix sich zukünftig behaupten muss. Netflix ist nicht mehr allein, andere Anbieter haben nachgezogen, sich neu justiert, versuchen selbst ihre Position im Markt auszubauen und können dabei zum Teil auf mächtige Strukturen und Infrastruktur zurückgreifen.
Apple+, Amazon, Wow, Paramout+, Disney+, Telekom… die Konkurrenz ist groß. Dabei haben Player wie Amazon und Apple ganz andere Voraussetzungen, müssen dank ihres eigentlich anders gelagerten Hauptgeschäfts im Bereich Streaming gar nicht so erfolgreich monetarisieren wie ein Netflix.
Anbieter wie Sky bringen nun ein Hardbundle-Produkt auf den Markt, das es dem Konsumenten sehr bequem macht: Auf dem Sky-Fernseher sind alle Apps nunn schon vorinstalliert.
Cyrus Pahl vermutet, dass sich der Markt konsolidieren wird. Nicht alle Anbieter werden überleben können. Für Netflix ergibt sich daraus auch die Notwendigkeit, über neue Strategien und Erlösmodelle nachzudenken.
Soll es günstigere Abo-Angebote als aktuell geben, in denen dafür aber Werbung ausgespielt wird?
Braucht es Merchandise zu Erfolgsproduktionen?
Ist der Gamingbereich eine Option?
Es bleibt also spannend, wohin die Reise von Netflix noch gehen wird.
Wir bedanken uns ganz herzliche für die tiefen Einblicke in den Kosmos Netflix, die weit über das Inhaltliche hinaus auch die Unternehmenskultur, Ein- und Aufstiegschancen und Jobperspektiven mit einschlossen.
Ein besonderer Dank an Ben Harris und Cyrus Pahl für ihre Zeit und die wertvollen Insights, die sie mit uns geteilt haben. Wir haben viel gelernt, neue Einsichten gewonnen und nehmen viele neue Impulse aus diesem Termin mit nach Hause.