Mara Bierbach (Deutsche Welle) ist eine der Trainer*innen, die am Nachmittag des Constructive Journalism Day 2021 Workshops anbieten. Wir haben sie vorab per Zoom gefragt, was euch im Workshop erwartet und wie Konstruktiver Journalismus im Alltag aussehen kann.
Liebe Mara, stelle dich doch einmal kurz vor…
Mara Bierbach: Ich bin Mara Bierbach und arbeite bei der Deutschen Welle unter anderem für das Team Trends and Knowledge, das mit dem internen Wissenstransfer betraut ist. Als Constructive Coordinator entwickele ich zusammen mit Kolleg*innen im Haus Workshops, die DW-Journalist*innen praktische Tools an die Hand geben, um im Alltag noch lösungsorientierter zu arbeiten und konstruktive Ansätze in ihre Berichterstattung zu integrieren.
Inwiefern profitiert ihr in der Redaktion und was haben am Ende auch die Konsument*innen von diesem Vorgehen?
Mara Bierbach: Es ist Teil unserer Markenwerte, dass die DW konstruktiv und lösungsorientiert berichtet. Wir wollen Qualitätsjournalismus machen und uns immer wieder kritisch mit der Frage „Wie bieten wir unseren Nutzer*innen einen maximalen Mehrwert?“ auseinandersetzen. Das heißt, wir müssen uns immer wieder fragen: Worüber berichten wir und worüber nicht? Was fehlt in unser Berichterstattung? Das Konzept des Konstruktiven Journalismus mit dem Teilbereich des lösungsorientierten Journalismus bietet uns nicht nur die Möglichkeit, Lücken in unser Berichterstattung zu erkennen, sondern auch Methoden, diese zu schließen – und dadurch näher an den Nutzenden zu sein.
Gibt es da vielleicht ein Beispiel, wo das Ganze besonders gut funktioniert hat?
Mara Bierbach: Was ich total toll finde, sind zum Beispiel die vielen lösungsorientierten Ansätze unserer Umweltredaktion. Aktuell ist ja das Thema 'Eco-Anxiety' in aller Munde. Wenn man über den Klimawandel berichtet, schalten viele Leute ab, weil sie von der Größe der Sache überfordert sind. Andere, die sich damit auseinandersetzen, bekommen psychische Probleme, weil sie die Vielzahl an negativen Informationen und Weltuntergangsszenarien stark belastet. Eine Berichterstattung, die auch Lösungswege aufzeigt, kann da Enormes leisten.
Das macht zum Beispiel unser Format Planet A auf YouTube, das ich sehr ansprechend finde – extrem dynamisch, extrem nutzernah. Da gibt es zum Beispiel Videos dazu, wie klimafreundlichere Landwirtschaft aussehen kann. In einem Beitrag vergleichen die Reporter, welche Pflanzenmilch für Umwelt und Klima die beste ist und unsere spanischsprachige Lateinamerika-Redaktion hat ein Videoformat namens Economia Creativa, dass auch sehr viele Lösungsansätze im Bereich Umwelt- und Klimaschutz aufzeigt. Die hatten zum Beispiel einen sehr erfolgreichen Beitrag über eine nachhaltige indigene landwirtschaftliche Methode in den Sümpfen in und um Mexiko City.
Also hat das Publikum nicht nur Informationen, die global eingeordnet werden, sondern auch kleine Infos, die direkt im Alltag angewendet werden können…
Mara Bierbach: Genau, das mit dem Milchvergleich ist einfach ein konkretes Verbraucherstück, das andere sind Reportagen und Features, die bestimmte Lösungsansätze ganz genau erklären. Gerade im Bereich Umwelt und Wissenschaften gibt es natürlich besonders viele tolle Lösungsansätze, aber das funktioniert auch bei anderen Themen.
Ja. Dafür haben wir auch unseren jährlichen Constructive Journalism Day. Du bist bestens im Thema und leitest den Workshop „Lösungsjournalismus für Fortgeschrittene: Wie können wir Lösungsgeschichten in Nachrichten- und Politikberichterstattung integrieren?“ – was erwartet denn die teilnehmenden Journalist*innen dort?
Mara Bierbach: Wir arbeiten viel mit den Methoden des Solutions Journalism Networks, da diese sehr praxisnah sind und konkrete Werkzeuge bieten, die man im redaktionellen Alltag anwenden kann. Journalismus ist ja in großen Teilen ein Handwerk. Meine Kollegin Aida leitet beim Constructive Journalism Day einen Grundlagen-Workshop für Leute, die das Konzept 'lösungsorienter Journalismus' noch nicht so gut kennen. Und ich möchte Journalist*innen, die sich schon öfters mit dem Thema auseinandergesetzt haben, einen Raum geben, sich auszutauschen und gemeinsam neue Ideen zu entwickeln. Konkret soll es um eine Frage gehen, die mich selbst sehr viel beschäftigt: Wie können wir Politik- und Nachrichtenberichterstattung konstruktiver und vor allem lösungsorientierter gestalten?
In manchen Bereichen des Journalismus ist lösungsorientierte Berichterstattung wesentlich einfacher umzusetzen und wird auch schon viel gemacht. Gerade bei Politik und Nachrichten aber gibt es noch viel ungenutztes Potential für Konstruktiven Journalismus, und es gibt viele Hürden.
Dafür werden wir uns in kleinen Gruppen mehrere Fragen vornehmen, die im Arbeitsalltag relevant sind, um zu gucken: Wie können wir diese Hürden überwinden und das Potential voll ausschöpfen?
Super, also für alle, die das Ganze gleich im Arbeitsalltag anwenden möchten…
Mara Bierbach: Genau. Mir ist wichtig, konkrete Werkzeuge mitzugeben. Vor allem im Basis-Workshop bekommen die Teilnehmenden eine Art Checkliste an die Hand, die sie während ihrer Recherche und bei der Erstellung eines Beitrags nutzen können. Das sind so Sachen wie die 'Four Pillars' – die vier Elemente, die ein lösungsorientierter Artikel haben sollte. Das kann man sehr einfach umsetzen: Habe ich alle vier Elemente zusammen und alle Fragen für mich beantwortet? Auch die gängigen Artikel- und Erzählformen eines lösungsorientierten Artikels und die Themenfindung sind wichtig. In meinem Workshop zu lösungsorientiertem Journalismus in Politik- und Nachrichtenberichterstattung möchte ich vor allem für Kolleg*innen, die das Konzept zwar interessant finden, für die es aber gerade in diesem Themenfeld schwer umzusetzen ist, zum Austausch anregen. Ich bin selbst redaktionell tätig und scheitere oft noch an meinen eigenen Zielen. Deshalb möchte ich im Workshop eine Plattform bieten, gemeinsam Strategien zu entwickeln. Durch die Zusammenarbeit mit dem Solutions Journalism Network habe ich gemerkt, wie produktiv so ein Austausch in der Gruppe mit anderen Journalist*innen sein kann.
Oh ja, unsere berufsbegleitenden Studierenden im Master Digitaler Journalismus berichten mir das auch immer. Die sind ja in ganz verschiedenen Redaktionen und durch den Austausch im Kurs kommen viele wieder auf neue Ideen...
Wir freuen uns auf jeden Fall auf den Workshop und sehen uns dann beim Constructive Journalism Day 2021!