Die Recherchen zum Pegasus-Projekt zeigen, wie gefährlich Ausspähungssoftware ist, wenn sie in die falschen Hände gerät. Über 180 Journalist*innen befinden sich auf der Äusspähunsgsliste der Software. Einst gebaut, um Terrornetzwerke und organisiertes Verbrechen zu unterwandern, schlagen Menschenrechtsorganisationen jetzt Alarm: „Reporter ohne Grenzen“ (RSF) fordert einen sofortigen Stopp des Handels mit der Software. Wir haben mit Lisa Dittmer, Expertin zum Thema Internetfreiheit bei RSF, über die Gefahren solcher Softwares gesprochen und sie gefragt, ob die Lösung zum Schutz von Journalist*innen „analog“ heißt.
Jüngst wurde enthüllt, dass neben Oppositionellen und Aktivist*innen auch Journalist*innen und Medienschaffende durch die Software Pegasus, der Firma NSO, im großen Stil ausgespäht wurden. Wer hat Ihrer Meinung nach im Fall Pegasus als Kontrollorgan versagt?
Es ist ein Versagen auf vielen Ebenen: Laut kürzlich veröffentlichtem „Transparenzreport“ der NSO Group hat das Unternehmen Exportlizenzen von Kontrollbehörden in Israel und den EU-Mitgliedstaaten Bulgarien und Zypern erhalten. Von Transparenz kann man bei diesem Handel aber nicht sprechen. Israel betrachtet Ausfuhrgenehmigungen als Instrument sicherheitspolitischer Interessen und verwehrt jegliche Auskünfte. In der EU gibt es zwar strengere Vorgaben, die NSO aber wohl lax genug schienen, um auch aus diesen Staaten heraus zu operieren. Die internationale Regulierung beweist sich als völlig ineffektiv angesichts der Vielzahl von Unternehmen, die repressive Staaten beliefern. Dass diese Exporte teils zu gravierenden Menschenrechtsverletzungen führten, ist längst bekannt, es ist allein das Ausmaß der nun aufgedeckten Fälle und möglichen Ziele, das schockiert.
Nach Herstellerangaben wurde Pegasus gebaut, um Terrornetzwerke und Schwerstkriminelle auszuspähen. Die israelische Firma NSO beteuert außerdem, die Software nur an geprüfte Stellen verkauft zu haben. Sie fordern einen sofortigen Stopp des Handels mit der Software, warum?
Mehr als 180 Journalist*innen aus 20 Ländern finden sich auf der Liste der anvisierten Ziele, ebenso wie Tausende Menschenrechtsverteidiger*innen, Anwälte von vergangenen Überwachungszielen, selbst Personen aus dem Umfeld des ermordeten Journalisten Jamal Khashoggi und der für die Ermittlungen zuständige türkische Oberstaatsanwalt. In zahlreichen Fällen wurden konkrete Spuren von digitalen Angriffen gefunden. Ein sofortiger Stopp des Handels und der Nutzung digitaler Überwachungstechnologien ist die einzig richtige Antwort auf diese Enthüllungen. RSF setzt sich seit Jahren für politische Reformen ein und selbst UN-Experten kamen bereits 2019 zu dem Schluss, dass dies das einzige Mittel ist, um kurzfristig weitere Menschenrechtsverletzungen zu verhindern und langfristige Reformen anzustoßen.
Mit der Digitalisierung gehen Fortschritt, Schnelligkeit und Kurzlebigkeit im Journalismus einher. Sie bietet große Chancen – etwa bei internationalen Recherchenetzwerken, die auch in diesem Fall an der Enthüllung des Falls Pegasus beteiligt waren – birgt aber auch mehr und mehr Risiken. Wo sehen Sie die größten Gefahren der Digitalisierung in Hinblick auf den Journalismus und die Arbeitsbedingungen von Journalist*innen?
Immer mehr Staaten wissen die Freiheiten, die das Internet geschaffen hat, einzuschränken: Webseiten werden zensiert, soziale Netzwerke unter Druck gesetzt, öffentliche Diskurse manipuliert. Vor allem aber bietet unser vernetztes Leben immer mehr Angriffspunkte für eine Überwachung neuen Ausmaßes. Aserbaidschanische Medienschaffende beispielsweise wurden nicht nur abgehört, es wurden auch intime Aufnahmen gestohlen oder heimlich gemacht und zur Demütigung im Netz verbreitet. Die Möglichkeiten, Journalist*innen mundtot zu machen und potenzielle Quellen abzuschrecken, sind enorm gewachsen. Auch in Deutschland sollten wir viel kritischer auf die zunehmenden Überwachungsbefugnisse der Sicherheitsbehörden schauen. Für die Pressefreiheit ist es ein alarmierendes Signal, wenn Polizei und Nachrichtendienste selbst verschlüsselte Nachrichten mitlesen dürfen und auch Journalist*innen nicht mehr grundsätzlich vor solchen aggressiven Überwachungsmaßnahmen geschützt werden.
Fortschritt ist auch im Bereich der Überwachungstechnologie nicht aufzuhalten und gewinnt durch die digitalen Möglichkeiten enorm an Geschwindigkeit. Welche Restriktionen müssen Ihrer Meinung nach jetzt folgen. Lässt sich der Handel einer solchen Software überhaupt überwachen?
Es gibt seit mehreren Jahren konkrete Vorschläge, wie man den Handel sinnvoll regulieren könnte. Bisher fehlt aber der politische Wille. Das wichtigste internationale Abkommen, das auch den Export digitaler Überwachungstechnologien regelt, ist rechtlich nicht bindend und hat dennoch gerade einmal 42 Mitgliedstaaten, darunter auch Mexiko, dessen Behörden eine Vielzahl an digitalen Übergriffen auf Medienschaffende und Politiker vorgeworfen wird. Sämtliche Staaten müssten sich verpflichten, Technologien weder einzusetzen noch ihren Export zu erlauben, wenn daraus erhebliche Risiken für die Menschenrechte hervorgehen. Den Unternehmen müssten viel strengere und verbindliche Pflichten auferlegt werden, zu prüfen, wer zu welchem Zweck bei ihnen einkauft, und darüber auch transparent berichten. Und es müsste, wie es bei der EU-Reform zur Diskussion stand, einen Mechanismus geben, um flexibel einzugreifen und neue Technologien unter Kontrolle zu stellen, wenn von ihnen Gefahren ausgehen.
Wie können Journalist*innen sich und ihre Quellen vor digitaler Ausspähung schützen? Ist die Antwort analog?
In aller Kürze: Ja, ist sie. Vertrauliche Gespräche führt man am besten weit ab aller Smartphones und Computer. Gegen Programme wie Pegasus gibt es kaum Möglichkeiten, sich zu schützen. Dennoch gibt es viele weniger komplexe und dennoch ernstzunehmende digitale Angriffsmöglichkeiten, gegen die man sich mit regelmäßigen Softwareupdates, Zwei-Faktor-Authentifizierung und anderen Alltagstipps schützen kann.
Fotocredit: Reporter ohne Grenzen
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