Mit #askawitness haben Tom Franke und Mathias Ahlmer ihr Praxisprojekt einem wichtigen Thema gewidmet und stellen sich im Netz gegen rechte Hetze und Holocaust-Verharmlosungen. Auf ihren Social-Media-Kanälen können Jugendliche Fragen an Zeitzeug*innen des Zweiten Weltkriegs stellen, die diese dann in den professionell gedrehten Videos der beiden beantworten.
Stellt euer Projekt doch einmal kurz in eigenen Worten vor…
Mathias: Wir haben ein interaktives Social-Media-Projekt gestartet, was Zeitzeug*innen und junge Menschen verbinden soll. Das funktioniert natürlich am besten auf Plattformen, auf denen sich junge Menschen aufhalten. Wir haben darum erst einmal mit Instagram gestartet und auch einen kleinen Schlenker zu Tik-Tok gemacht. Für uns war es wichtig, eine moderne Ansprache zu finden, die junge Leute erreicht und auch diese gewisse Sättigung in Bezug auf dieses Thema, die sie zum Beispiel durch die Schule schon erreicht haben, umgeht. Darum wollten wir mit #askawitness für Jugendliche, die keine Lust mehr haben, sich noch mehr altes Material anzusehen, ein kompaktes Social-Media-Format entwickeln, welches die Stimmen von Zeitzeug*innen mit den interaktiven Fragen aus der jungen Social-Media-Community verbindet.
Tom: Das Ganze hat übrigens während des Lockdowns stattgefunden. Persönliche Gespräche mit Zeitzeug*innen konnten in diesem Zeitraum gar nicht stattfinden, da ja besonders alte Menschen von der Pandemie betroffen waren. Wir hatten die Möglichkeit, solche Zeitzeug*innengespräche in ein digitales Format zu bringen, um so trotz Pandemie Zeitzeug*innen die Möglichkeit zu geben, weiter Aufklärungsarbeit zu leisten. Ein großer Projektfokus war daher auch die Frage, wie man während einer Pandemie sicher drehen kann, bei der uns die Erfahrung von Mathias aus seinem Beruf als Videojournalist auf jeden Fall schon sehr geholfen hat.
„Wir haben unsere Ressourcen genutzt und einfach gemacht“ – DJ-Praxisprojekte 2021
Spannend! Was war eure Motivation hinter dem Projekt und wie seid ihr überhaupt auf die Idee gekommen?
Tom: Da sind unterschiedliche Dinge zusammengekommen. Vor allem hatten wir beobachtet, dass es einen globalen Rechtsdruck zu geben scheint. Die Ideensuche war zudem zu der Zeit, als die Corona-Demos, auf denen Geschichtsrevisionismus und diverse Holocaust-Verharmlosungen öffentlich zur Schau gestellt wurden, enormen Zulauf hatten. Dem wollten wir etwas entgegensetzen. Wir wollten Menschen sprechen lassen, die wissen, wohin Hass und Hetze führen können – also Zeitzeug*innen. Da ich in einem NS-Archiv arbeite und Mathias als Videojournalist, konnten wir unser Know-how sehr gut für diese Idee bündeln.
Mathias: Ja genau, das war so die persönliche Motivation. Im Laufe unserer Studienzeit haben wir beide schon sehr oft und gern zusammengearbeitet. Also war relativ schnell klar, dass wir auch das Praxis-Projekt zusammen machen wollen.
Ich weiß noch genau, dass wir überlegt haben, welches Projekt wir machen könnten, als du von diesen Corona-Demonstrationen und den Anne-Frank-Vergleichen erzählt hast. Da dachten wir: „Was würden wohl Leute dazu sagen, die das tatsächlich miterlebt haben? Wenn sie Aussagen hören wie „Wir leben in einer Merkel Diktatur?“ – Wir könnten sie ja fragen“.
Fachlich konnten wir da unser Know-how super zusammenführen. Wir wollten das Ganze allerdings auf keinen Fall per Zoom-Call realisieren, sondern eine gewisse Qualität bieten. Wir möchten die Interviews ja gern archivieren und auch das komplette Rohmaterial für andere Organisationen zur Nutzung zur Verfügung stellen. Wir möchten zwar unser Projekt machen, aber dabei gleichzeitig diesen Archiv-Gedanken fortführen. Nicht dass wir, überspitzt gesagt, jemanden interviewen, der schon relativ alt ist, und das letzte gute Interview, das er gegeben hat, war dann ein Zoom-Call. Das kann man nicht machen. Darum haben wir da einen gewissen Anspruch.
Wie habt ihr das dann realisiert? Klar ist es viel schöner, die Interviews vor Ort zu drehen und eine gleichbleibend gute Qualität zu haben, aber da müssen ja schon Vorkehrungen getroffen werden, um die Zeitzeug*innen, die ja aufgrund ihres Alters, was Corona angeht, eher zur Risiko-Gruppe gehören, ausreichend zu schützen.
Mathias: Wir haben ein Hygienekonzept geschrieben, an der frischen Luft gedreht, Tom und ich haben uns vor jedem Interview getestet und darauf geachtet, dass alle unsere Zeitzeug*innen schon das zweite Mal geimpft waren. Natürlich haben wir auch die AHA-Regeln und Abstände eingehalten. Die Protagonist*innen haben sich die Mikrofone zum Beispiel einfach selbst angesteckt.
Klar war das Ganze auch etwas aufwendiger. Tom hat aber gerne die Anfahrt aus Hessen in Kauf genommen und im Hamburger Umland sind wir dann sehr viel umhergefahren. Das Wetter musste einigermaßen mitspielen und dann hatte man plötzlich ein störendes vorbeifahrendes Motorrad im Ton… Das waren zwar einige Herausforderungen, aber sie waren uns die Sache Wert, auch wenn die Zeitzeug*innen bereit für ein Zoom-Interview gewesen wären.
Das Ganze war ja ein Projekt im Rahmen eures DJ-Studiums, wie genau seid ihr vorgegangen von der Ideenentwicklung zum fertigen Projekt?
Tom: Nachdem wir uns entschieden hatten, was wir machen möchten, haben wir uns zunächst auf die Suche nach verschiedenen Interviewpartner*innen gemacht, um die verschiedenen Zeitzeug*innen für uns zu gewinnen. Parallel brauchten wir aber auch die Fragen. Das ist ja der zweite Teil unseres Projekts, dass wir eben nicht unsere Fragen, sondern die von Schüler*innen und Jugendlichen an die Zeitzeug*innen stellen. Im zweiten Step haben wir deshalb zum Beispiel befreundete Lehrer*innen kontaktiert, die das Projekt in ihren Klassen vorgestellt haben, und daraufhin haben uns Schüler*innen eine Reihe von Fragen geschickt, die uns als erster Leitfaden für die Interviews zur Verfügung standen. Der Rest war fast ein Selbstläufer. Wir haben eine sehr engagierte Zeitzeug*innen-Gruppe gefunden, die uns gern für Interviews zur Verfügung steht, und dann fehlte eigentlich nur noch die Umsetzung, das Aufsetzen der Kanäle und der Projektbericht.
Mathias: Klar gab es auch ein, zwei Punkte, bei denen wir uns Gedanken machen mussten, wie wir weitermachen. So haben wir zum Beispiel Gedenkstätten angeschrieben, die uns zwar für das Projekt Mut gemacht haben, aber aufwands- oder Datenschutz-technisch keine Interviewpartner*innen vermitteln können, und mussten erst einmal weitersuchen. Glücklicherweise haben wir mit Tom eine starke Expertise, was den Inhalt betrifft, und bei mir in Sachen Technik, darum haben wir uns immer recht sicher gefühlt bei unseren Anfragen.
Das Ganze ist ja aus einem Uni-Projekt heraus entstanden und ein anderes Problem war anfangs, dass wir kein journalistisches Produkt entwickelt haben, dass gewinnorientiert ist, was sich in der Regel für solche Seminare eher anbietet. Als sinnvolles Projekt konnten wir das Ganze dann aber trotzdem machen.
Ihr seid ja auch dennoch strategisch vorgegangen und auf Partner zugegangen, damit sich das Projekt zumindest selber trägt, wenn ich das richtig in Erinnerung habe?
Tom: Ja genau, das war auch eine schöne Beobachtung bei dem Projekt. In erster Linie war es uns wichtig, den Content zu erstellen, eine grobe Skizze der Ideen zu haben und unterschiedliche Parteien wie Zeitzeug*innen, Gedenkstätten und Zeitzeug*innenvereine, aber auch Schulen, Jugendliche und pädagogische Einrichtungen zusammenzubringen. Das Schöne war, dass wir mit 18 Beiträgen schon über 160 Follower*innen gewinnen konnten, darunter Stiftungen und Organisationen, die sich in diesem Bereich engagieren, bei denen man sich gegebenenfalls auch noch um Unterstützung für das Projekt bemühen könnte.
Mathias: Über Instagram haben sich außerdem weitere Leute bei uns gemeldet und erzählt, dass zum Beispiel ihre Großeltern noch eine spannende Geschichte beisteuern könnten. Jemand wollte sogar ehrenamtlich bei uns mitarbeiten. Das war nach sechs oder sieben Videos und sehr schön zu sehen, dass jemand das, genau wie wir, mit seinen eigenen Ressourcen mit stemmen möchte und das schon in einer so frühen Phase des Projekts, wo wir mehr oder weniger im Dummy-Bereich waren.
Du sagst in einer frühen Phase – wie ging und geht es weiter mit eurem Projekt?
Tom: Die Hamburger Zeitzeug*innen (Shoutout an die Hamburger Zeitzeug*innenbörse) sind untereinander vernetzt und nicht nur insgesamt sehr engagiert, sondern auch daran interessiert, an unserem Projekt weiter mitzuarbeiten, was sehr schön ist. Ich denke, das hängt mit unserem Grundgedanken zusammen, das gesamte Material für die Nutzung durch andere Medien und Organisationen zur Verfügung zu stellen. Im Grunde müssen wir jetzt, wo unsere Community wächst und mehr Aufmerksamkeit bekommt, weiter Fragen sammeln und weitere Interviews führen. Wir haben #askawitness auch einer Hamburger Soul-Sängerin, die ebenfalls ein Projekt mit der gleichen Zeitzeug*innen-Gruppe gestartet hat, vorgestellt und sind nun gespannt, ob sich daraus noch etwas für unsere Arbeit ergibt.
Mathias: Im Schnitt haben wir das ganze Material tatsächlich in einem Zug bearbeitet, eine Grafik festgelegt usw. Bisher haben wir uns überwiegend auf IGTV gestützt, würden jetzt aber gern auf Instagram Reels wechseln und auch Tik-Tok mehr bespielen. Unser Ausflug dorthin war unangenehm erfolgreich. In kürzester Zeit haben wir für den kurzen Videoausschnitt 7000 Views und 200 Kommentare bekommen. Neben neuen Fragen möchten wir auch weitere Interviewpartner*innen akquirieren. Bisher war ja Hamburg unsere Base und ich hatte mein Equipment dort, lebe aber mittlerweile in München, und nun würden wir ebenfalls den Süden abklappern, um Interviews mit Zeitzeug*innen vor Ort zu führen. Außerdem wollen wir Kooperationen zum Beispiel mit Gedenkstätten forcieren und unabhängig von unseren Jobs dieses Projekt ehrenamtlich weiterführen und eine größere Reichweite erzielen, weil wir denken, dass das funktioniert.
Was waren die größten Learnings bei eurem Praxisprojekt?
Mathias: Mein Learning ist sehr pragmatisch. Wir hatten ein Uni-Seminar und da wurde gesagt, ihr müsst euch etwas überlegen, und darum haben Tom und ich uns hingesetzt und nachgedacht und aus einer bloßen Studienveranstaltung ist tatsächlich ein Projekt geworden, auf das ich richtig stolz bin, was gut funktioniert und einen Sinn hat. Einfach nur, weil wir gesagt haben: „Gut, wir machen jetzt einfach drei, vier Wochenenden nichts anderes.“ Wir haben unsere Ressourcen genutzt und einfach gemacht. Wir haben es mit eigenen Mitteln hinbekommen ohne eine Förderung und das ist schon faszinierend. Wenn man Bock darauf hat, den Impuls durch die HMS bekommt und es ein real existierendes Projekt wird, ist das schon toll.
Tom: Wir haben uns ein Thema mit Herausforderung gesucht, was uns auch während der Zeit der Interviews sehr beschäftigt hat. Ich erinnere mich an lange und tiefschürfende Gespräche nach den Interviews auch untereinander, um diese Thematik irgendwie zu fassen und ihr gerecht zu werden. Ich finde das Feedback der Zeitzeug*innen einerseits und auch die angebotene Unterstützung andererseits zeigen, dass es lohnt, sich mit dieser Thematik auseinanderzusetzen und damit auf junge Leute zuzugehen. Wir hatten befürchtet, dass es sie vielleicht gar nicht so anspricht, aber das stimmt überhaupt nicht. Das Interesse ist da.
Schön! Dann viel Erfolg weiterhin mit eurem Projekt und jetzt erst einmal für die Masterarbeit und vielen Dank für das nette Gespräch.